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Moment: Migration ist die effizienteste Entwicklungshilfe

Maria Sterkl hat mich für die Menschenrechtsgazette Moment von SOS Mitmensch zum Thema Wirtschaftsflucht interviewt. Das komplette Magazin steht hier zum Download bereit.

Hoppla, der Süden leistet Entwicklungshilfe an den Norden? Erfolgsbuchautor Klaus Werner über die Schattenseiten der Konzernpolitik, unsichtbare Geldströme und den Schmäh mit der Corporate Social Responsibility.

Herr Werner, es hat sich ein Bild der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Norden und dem Süden verfestigt, das von einer permanenten Hilfsleistung für den Süden ausgeht. Sie behaupten aber, es verhält sich genau umgekehrt. Inwiefern profitieren wir von der Armut des Südens?

Kapital, Rohstoffe und Dienstleistungen in Form von billiger Arbeitskraft gehen aus den ärmeren Ländern in die reicheren Länder. Das macht eine enorme Summe aus. Allein die Zinszahlungen für die so genannten Schulden betragen 370 Milliarden Dollar pro Jahr. Das heißt: Der Süden leistet massive Entwicklungshilfe an den Norden – vermutlich in der Höhe von mindestens 1500 Milliarden Dollar pro Jahr. Das ist das 15-fache der weltweiten staatlichen Entwicklungshilfe. Das Geld geht in den Norden – aber die Menschen sollen nicht kommen.

Die Menschen kommen dennoch.

Selbstverständlich. Sagen wir, ich bin sehr reich und habe eine schöne Wohnung. Ich mache ein Fest, also gehe ich zur Nachbarin, weil ich noch Bier brauche, und räume ihr den ganzen Kühlschrank aus. Dann klopft die Nachbarin am Abend bei mir an und sagt: ‚Ich habe gehört, dass du das warst. Jetzt will ich aber wenigstens beim Fest dabei sein.’ Und ich sage: ‚Nein, das darfst du nicht.’ Das ist die derzeitige Situation.

Immer wieder hört man die Kritik, AsylwerberInnen seien ja ‚keine richtigen Flüchtlinge’, sondern ‚nur Wirtschaftsflüchtlinge’. Das klingt so, als wäre die Flucht vor Verfolgung oder Krieg ein edleres Motiv, als vor Armut auszuwandern. Warum?

Dieser Eindruck wird gezielt erweckt. Die politische Flucht ist ja auch das einzige offene Eingangstor zur Europäischen Union, und zwar aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention. Deshalb stellt man die Wirtschaftsflucht als etwas Negatives dar. Und es stimmt ja, dass viele AsylwerberInnen Wirtschaftsflüchtlinge sind.

Von deren Arbeitskraft profitiert die EU ja auch…

Selbstverständlich. Das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat zum Beispiel errechnet, dass Deutschland statt derzeit 23.000 jedes Jahr 270.000 Zuwanderer bräuchte. Und wenn man schon an freie Marktwirtschaft glaubt, dann muss man das konsequent tun und darauf vertrauen, dass sich das ohnehin nach Angebot und Nachfrage regelt. Die Leute gehen ohnehin nur dorthin, wo ihnen der Arbeitsmarkt etwas bietet.

Welche Rolle spielen multinationale Konzerne in der weltweiten Migration?

Die Konzerne schaffen überhaupt erst die Notwendigkeit für die Bevölkerung, aus ihren Ländern hinauszugehen. Die OMV hat jahrelang davon profitiert, dass im Sudan Massenvertreibungen stattfanden und wegen der Erdölförderung ganze Dörfer ausradiert wurden. Sie hat ihre Lizenzen dann teuer verkauft und verbrannte Erde zurückgelassen. Damit sind solche Konzerne auch mitverantwortlich, dass es in diesen Ländern Fluchtbewegungen gibt.

Wo bleibt die Verantwortung der Politik, der Regierungen dieser Länder?

Die Regierungen rohstoffreicher Länder werden aus Wirtschaftsinteressen korrumpiert, damit wird jeder Versuch demokratischer Entwicklung im Keim erstickt. Die Regierungen der Industrieländer stehen hier ganz aufseiten der Konzerne. Sie setzen damit Ausbeutung fort und fahren gleichzeitig eine populistische ‚Grenzen-zu!’-Politik. Dabei ließe sich das Problem im Interesse aller lösen: Wenn die EU – etwa bis 2020 – ihre Grenzen nicht nur für Waren und Kapital, sondern auch für Menschen öffnet, hätte man bis dahin Zeit, gerechte Handelsverhältnisse herzustellen. Damit verhindert man nicht bewältigbare Migrationsströme, wie bei der Osterweiterung. Und weil ‚EU-Süderweiterung’ ein bisschen kolonialistisch klingt, könnten wir es ja ‚Norderweiterung der Afrikanischen Union’ nennen – vom Kap der guten Hoffnung bis zum Nordkap.

Was hat sich seit der Erstauflage des Schwarzbuch Markenfirmen an Ihrer Kritik an den Weltkonzernen verändert?

Der Welthandel hat sich beschleunigt. Gleichzeitig haben sich auch die Widerstandsbewegungen professionalisiert und verbreitert. Und die Konzerne haben auf die Kritik reagiert, indem sie die so genannte Corporate Social Responsibility auf ihre Fahnen geschrieben haben, um verbindliche Spielregeln für ihre Geschäfte zu verhindern.

Was ist so schlecht an der Corporate Social Responsibility, also am Versuch, eine Unternehmensführung ethischen Maßstäben zu unterwerfen?

Shell hat zum Beispiel in Nigeria Erdöl im Wert von Dutzenden Milliarden Dollar extrahiert und damit Wahnsinnsprofite gemacht, ohne der nigerianischen Bevölkerung eine adäquate Gegenleistung zu bieten. Sie haben nachhaltig Lebensräume zerstört und autoritäre Regime gestützt. Gleichzeitig ist Shell der größte Geldgeber für Sozialprojekte in Nigeria und spendet circa 60 Millionen Dollar pro Jahr. Diese 60 Millionen sind ungefähr ein Promille dessen, was Shell den NigerianerInnen weggenommen hat. Das ist so, wie wenn ich Ihnen alles wegnehme. Und wenn Sie dann nackt im Regen stehen, sage ich, ‚Sie schauen aber arm aus’, und gebe Ihnen einen Euro. Das ist Corporate Social Responsibility. Und dann sagen alle: ‚Der Klaus Werner ist super, bei dem kaufe ich jetzt noch mehr ein’.

Inwiefern schadet die Armut des Südens der EU? Es kostet viel Geld, Grenzschutzmaßnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig entgehen den Unternehmen potenzielle Absatzmärkte und Handelspartner.

Es gibt Interessensgruppen, die davon profitieren. Ich glaube aber auch, dass es der EU-Bevölkerung nichts nützt. Bei der rassistischen Zuwanderungspolitik geht es schlicht um Populismus. Der EU-Bevölkerung nützt das überhaupt nicht. Es schadet ihr – aus Gründen der Sicherheit, weil die Illegalisierung viele Zuwanderer in die Kriminalität treibt, aber auch wirtschaftlich, weil die EU ohnehin mehr Arbeitskräfte und Beitragsleistungen fürs Pensionssystem bräuchte.

Kann man Konzernen vorwerfen, dass sie unethisch handeln, wenn sie jene Spielräume, die ihnen die Politik bietet, ausschöpfen?

Nein. Das wäre so, als würde ich der Wand vorwerfen, dass sie aus Beton ist. Ein einzelner Manager einer Aktiengesellschaft ist per Aktiengesetz ja sogar dazu verpflichtet, alles zu tun, damit seine Aktie Gewinn abwirft. Er darf gar keine anderen Kriterien einführen als das Kriterium der höchsten Rendite. Aber ich kann den gesellschaftlich Mächtigen, und das sind nun einmal KonzernvertreterInnen, aber auch PolitikerInnen, vorwerfen, dass sie keine gesellschaftlichen Interessen verfolgen, sondern nur egoistische Einzelinteressen vertreten.

Sollte die EU für ihre Importe soziale Mindeststandards definieren?

Ja. Man könnte beschließen, dass alle Güter, die in die EU importiert werden, soziale und ökologische Mindeststandards erfüllen müssen. Und wenn das nicht erreicht wird, werden sie mit Strafzöllen in einem Ausmaß belegt, die es ermöglichen, die Produktionsbedingungen vor Ort zu verbessern.

Man kommt dann aber ziemlich schnell in einen Konflikt mit der Welthandelsorganisation.

Wer ist die WTO? Wer hat sie gewählt? Was legitimiert sie, Österreich zum Beispiel zu zwingen, den Anbau gentechnisch veränderter Lebensmittel zuzulassen, obwohl die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung dagegen ist?

Bei der WTO verhandeln demokratisch legitimierte Minister mit.

Ja, aber die könnten sich auch dagegen stellen und sagen, sie machen da nicht mit. Die symbolische Wirkung wäre wichtig. Auch das Gentechnik-Volksbegehren hatte nur symbolischen Wert. Aber es hatte doch den Effekt, die Gentechnik-Lobby ein bisschen einzubremsen. Schließlich haben auch die Supermärkte reagiert. Bestimmte Dinge führen sie nicht, weil die Leute sie nicht wollen.

Wird die Nahrungsmittelkrise zu einem Anstieg der Zuwanderung in die EU führen? Man braucht schon finanzielle Voraussetzungen, um überhaupt fliehen zu können. Nun führt die Nahrungsmittelkrise aber in vielen Gebieten zu einer zusätzlichen Verarmung der Gesellschaften. Was ist Ihre Einschätzung?

Die Nahrungsmittelknappheit führt bereits jetzt zu mehr Fluchtbewegungen. Der weitaus überwiegende Teil sind aber Binnenflüchtlinge oder Flucht in die Nachtbarländer. Die UNO sagt, dass es heute bereits 20 Millionen Klimaflüchtlinge gibt und dass es bis 2010 ungefähr 50 Millionen sein werden. Allerdings existiert überall dort, wo es ökonomisch prekäre Situationen gibt, der Wunsch, dorthin zu gehen, wo die finanziellen Rahmenbedingungen besser sind. Nicht selten legt eine Großfamilie ihre Ersparnisse zusammen, damit wenigstens einer flüchten kann, und der schickt dann Geld nach Hause. Wir sprechen hier natürlich nur von jenen Leuten, die zumindest so viel Geld übrig haben, dass sie einen Schlepper oder die
Reise bezahlen können.

Wird sich der Anteil dieser Menschen noch erhöhen?

Ja. Je mehr sich diese prekären Verhältnisse verbreiten, umso mehr wird es zu solchen Fluchtbewegungen kommen. Das macht für die Betroffenen auch Sinn. MigrantInnen aus ärmeren Regionen sind zum Teil der wichtigste Wirtschaftsfaktor dieser Länder. Sie schicken pro Jahr ungefähr dreihundert Milliarden Dollar auf offiziellem Weg nach Hause. Auf inoffiziellem Weg ist es ein Vielfaches. Dreihundert Milliarden Dollar – das ist drei Mal so viel wie die weltweite offizielle Entwicklungshilfe. Migration ist die effizienteste Entwicklungshilfe, weil sie direkt zu den Leuten kommt.

Diesen Ländern fehlen dann aber auch die von Ihnen erwähnten jungen, gut ausgebildeten Fachkräfte, die sie ja selbst für Wirtschaft und Verwaltung brauchen.

Das ist der sogenannte brain drain. Jüngere Studien zeigen aber, dass das nur in einzelnen Ländern, wo wirklich viele Fachkräfte aus ganz bestimmten Branchen geballt abwandern, zum Problem wird. Global gesehen sind die finanziellen Rückflüsse und andere Vorteile aus der Migration aber nach wie vor größer als der Schaden, der daraus entstehen mag. Etwa, wenn sich MigrantInnen Kompetenzen angeeignet haben, die sie in ihre Herkunftsländer mitnehmen. Oder indem sie Geld heimschicken und dadurch die Ausbildung der Geschwister ermöglichen. Unterm Strich ist der brain gain also größer als der brain drain.

1 Kommentar zu „Moment: Migration ist die effizienteste Entwicklungshilfe“

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