Heute beschließt der Kulturausschuss der Stadt Wien eine Zusatzsubvention von 4,9 Millionen Euro für die Vereinigten Bühnen Wien (VBW), also für die beiden Musicalbühnen Ronacher und Raimund Theater und für das Opernhaus Theater an der Wien. Das, obwohl im Rot-Grünen Koalitionspakt eindeutig festgeschrieben ist, dass die VBW zugunsten neuer Kulturprojekte Einsparungen vornehmen sollen.
Für mich persönlich bedeutet das eine der schmerzhaftesten Entscheidungen seit ich Kulturpolitiker bin: Die freie Szene und kleinere Theater, aber auch größere Häuser wie das Volkstheater sind fast durch die Bank unterfinanziert. Gleichzeitig passiert nun das, wogegen ich mich immer gewehrt habe: Weil ein großer Kulturkonzern, der mit rund der Hälfte des Wiener Theaterbudgets gefördert wird, mit der gewährten Subvention nicht auskommt und mit Stellenabbau droht, soll ihm für zwei Jahre eine Zusatzförderung in Millionenhöhe gewährt werden, während ein großer Teil der Kulturschaffenden weiterhin prekär arbeitet.
Damit kein Zweifel entsteht: Auch die Grünen wollen natürlich verhindern, dass Beschäftigte der VBW ihren Job einbüßen, Koalitionspapier hin oder her. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch um die prekären Verhältnisse in kleineren Kulturinstituionen und in der freien Szene kümmern: Die Armutsgefährdungsquote von KünstlerInnen ist laut einer Studie des BMUKK dreimal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung und fünfmal so hoch wie jene der Erwerbstätigen insgesamt. Ganz abgesehen davon, dass kleinere Institutionen öffentliche Mittel wesentlich effizienter verwenden – sowohl was den kreativen Output als auch die Beschäftigungsimpulse betrifft, wie z.B. diese Studie beweist.
Ich habe daher versucht, eine vorübergehende Subventionserhöhung als Kompromiss zumindest an zwei konkrete Bedingungen zu knüpfen:
- einen neuen kulturpolitischen Auftrag zu formulieren, die zumindest eine der beiden Musicalbühnen für künstlerisch innovativere Projekte und die freie Szene zugänglich macht
- wenigstens ein Drittel des nun zusätzlich gewährten Betrages als Zusatzsubvention für die freie Theaterszene zu budgetieren, und zwar je zur Hälfte für die Klein- und Mittelbühnen und für die kuratierten freien Gruppen
Nun muss ich bekennen: ich bin damit – zumindest vorläufig – gescheitert, weil ich dafür keine Mehrheit gefunden habe. Und: Die Budgetentscheidung wurde nicht auf kulturpolitischer sondern auf Koalitionsebene getroffen. Das muss ich, wenn auch zähneknirschend, zur Kenntnis nehmen. Weil: Politik, zumindest Regierungspolitik, bedeutet auch Kompromisse eingehen. Ich finde aber, man sollte in der Politik nicht nur Erfolge kommunizieren, sondern durchaus auch mal das eigene Scheitern: Das dauernde Schönreden von schmerzhafen Kompromissen führt zu einen Glaubwürdigkeitsverlust unseres gesamten politischen Systems und unserer Profession. Ich bekenne also mein vorläufiges Scheitern in dieser Frage und stimme nach langem Überlegen dennoch heute im Kulturausschuss der Förderung für die VBW zu.
Warum? Weil es weder der Sache noch Irgendwem was bringen würde jetzt allein den Helden zu spielen und z.B. dem Ausschuss fernzubleiben, bei der Abstimmung aufs Klo zu gehen oder dagegenzustimmen. Ich habe lange, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln für eine meiner Meinung nach bessere Lösung gekämpft, aber eben diesmal keine Mehrheit dafür gefunden. An dieser Stelle sei übrigens erwähnt dass sich auch die Kulturpolitiker der SPÖ engagiert für eine Lösung eingesetzt haben und weiter einsetzen, die einerseits die Existenz der VBW langfristig absichert ohne dass deren Subventionsbedarf weiterhin steigt, und andererseits auf eine ausgewogene Verteilung des Kulturbudgets abzielt. Weil wir das nur gemeinsam schaffen stimme ich der VBW-Subvention zu, auch wenn es mir lieber gewesen wäre zumindest die oben genannten zwei Bedingungen gesichert zu wissen.
Was dank gemeinsamer Anstrengung zumindest gelungen ist: Die auf zwei Jahre befristete Subventionserhöhung ist an die Bedingung geknüpft dass die VBW noch im ersten Halbjahr des kommenden Jahres einen Reformplan vorlegen müssen, der die erneute Senkung der Subvention zumindest aufs derzeitige Niveau langfristig garantiert. Wörtlich heißt es dazu im Subventionsakt:
Dabei darf es keine Tabus geben: Dass Millionenförderungen für kommerzielle, am Broadway eingekaufte Musicalproduktionen wie „Sister Act“ oder „Natürlich Blond“ ausgegeben werden ist – nicht nur angesichts der knappen Budgetmittel für die kreative Kulturszene – aus kulturpolitischer Sicht nicht erklärbar. Wenn es am freien Markt eine Nachfrage dafür gibt: Bitteschön, dann soll es auch der freie Markt finanzieren. Ich habe dazu bereits vor einem halben Jahr Vorschläge gemacht. Es werden daher nicht nur Einsparungspotenziale innerhalb des bestehenden Systems ausgereizt werden müssen, sondern wir müssen auch den kulturpolitischen Auftrag an die einzelnen Bühnen infrage stellen und neu formulieren: Hin zu mehr Eigenproduktionen, zu zeitgemäßen Inhalten und Darstellungsformen und zu einer Öffnung für die freie Szene.
Vieles von dem hätte bereits viel früher passieren sollen, dann müssten wir nicht jetzt Fehler der Vergangenheit ausbaden. Aber auch das habe ich gelernt: Die Mühlen der Politik mahlen langsam. Manchmal sieht es sogar so aus aus würden sie rückwärts mahlen. Aber vielleicht holen sie ja nur Schwung für den nächsten Anlauf? Ich werd jedenfalls das Meine zu diesem Schwung beitragen.
Und abschließend: Ich weiß, es ist in Österreich nicht üblich, als Politiker Zweifel, offene Fragen oder gar das eigene Scheitern einzugestehen. Ich weiß auch dass ich mir damit nicht nur Freunde machen werde. Aber ich glaube fest, dass wir die Glaubwürdigkeit des politischen Systems nur durch mehr Transparenz von Entscheidungsprozessen erhalten können. Und eingestandenes Scheitern heißt ja auch wieder aufstehen. Wie sagte Samuel Beckett? Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better.