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Der Standard: „Kampf gegen die Negativen Kräfte“

Die Konfliktparteien in der Demokratischen Republik Kongo sind kriegsmüde. Doch zum Frieden ist es noch weit. Ein Lokalaugenschein im Rebellengebiet.

Deogratias Ngabo eilt von Raum zu Raum und öffnet alle Schrank- und Zimmertüren, als wolle er den Mangel im Innenhof zum Appell versammeln: Im Medikamentenschrank ein paar halbleere Packungen. Im Operationssaal eine Art Klappsessel mit ein paar Lampen darüber, sonst nichts. Zwei Toiletten, zwei Duschen im Holzverschlag. Keine Desinfektionsapparate, nicht einmal eine Waschmaschine gibt es im Krankenhaus Charité Maternelle in Goma, der Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu. Hundert Patienten werden hier von Doktor Ngabo und zwei weiteren Ärzten mehr gepflegt als behandelt: Aids, Malaria, Kinderlähmung und Diarrhöe lassen sich nicht mit Fachkenntnis und Gottvertrauen heilen.

Nun sollen auf Initiative der österreichischen Hilfsorganisation Austrian Help Program (AHP) und des Arztes Ullrich Meise Medikamente und gebrauchte Geräte aus der Innsbrucker Uniklinik geliefert werden. Weitere Hilfe ist dringend nötig, denn in Goma herrscht Krieg, und die Charité Maternelle ist das einzige Spital, das mittellose Opfer behandelt – und mittellos sind hier fast alle.

Auf einem der Betten liegt ein Mädchen auf dem Bauch: Der Dickdarm ist zwei Handbreit nach außen gestülpt, das blutige Gewebe notdürftig verbunden mit einem Taschentuch. Ein winziges Frühgeborenes ist in dicke Decken gewickelt – Inkubator gibt es keinen. Eine ausgemergelte Patientin starrt regungslos auf die Wand. Vor ein paar Wochen hat sie fast ihre ganze Familie verloren. Um vier Uhr morgens musste sie mit ansehen, wie Soldaten ihren Mann erschossen und drei ihrer Kinder mit der Machete hinrichteten. Sie selbst konnte mit dem jüngsten Sohn im Schutz der Dunkelheit in die Bananenstauden flüchten. „Niemand weiß, wer die Täter sind“, sagt Doktor Ngabo.

Offiziell hat der Terror hier nur einen Namen: „forces negatives“, die Negativen Kräfte. Doch das können alle und jeder sein. Keiner kann mehr genau sagen, wer hier für wen kämpft. Milizen, Warlords, Banditen, rivalisierende Volksgruppen, aber auch die Armeen der großen Kriegsparteien selbst foltern, morden, vergewaltigen und plündern im Schutz der Wälder und im Schatten der großen Fronten. Sexuelle Gewalt – verübt auch durch HIV-infizierte Soldaten – und andere Gräueltaten gegen Kinder, Frauen und Männer werden gezielt als Waffe eingesetzt, gibt ein aktueller UNO-Bericht zu Protokoll.

Die UNO kennt auch die Zahl der Opfer: Mehr als 1,7 Millionen Menschenleben hat der Krieg gekostet, der seit August 1998 vor allem im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRC) tobt. Dazu kommen zwei Millionen Vertriebene und über 16 Millionen Opfer von Hunger, Folter und Krankheit.

Zählen und dokumentieren, das sei fast der einzige Beitrag der internationalen Staatengemeinschaft, beklagt sich Aloys Tegera, der Leiter eines zivilgesellschaftlichen Instituts in Goma. „Es gibt zwar jetzt wieder Friedensgespräche. Doch ich sehe keine Bereitschaft der UNO, die Entwaffnung der Interahamwe voranzutreiben. Und solange das nicht passiert, wird es keinen Frieden geben“, sagt er.

Die Interahamwe sind jene Milizen, die 1994 den Genozid an einer Million Ruander befehligten und gemeinsam mit der ehemaligen ruandischen Hutu-Armee (Ex-FAR) in die kongolesischen Wälder geflüchtet sind. „Mittlerweile sind diese Milizen die einzige relevante Armee des kongolesischen Präsidenten Kabila jr., eine Kampfmaschine, die jedem zur Verfügung steht, der sie bezahlt“, sagt Tegera.

Die angebliche Bedrohung durch die Interahamwe und Ex-FAR – ihre Zahl wird zwischen 15.000 und 45.000 Truppen geschätzt – ist auch das Argument für die Beteiligung Ruandas am Kongokrieg. Das kleine, dicht besiedelte Nachbarland, dem die Suche nach neuem Lebensraum nachgesagt wird, hat nicht nur eigene Truppen in der DRC stationiert, sondern bildet auch das Rückgrat der größten Rebellenbewegung: der Kongolesischen Sammlung für Demokratie (RCD), die hier in Goma ihren Hauptsitz hat.

Deren Chef, der kongolesische Arzt Adolphe Onosumba Yemba, hat so gar nichts von einem Buschkämpfer. „Ich glaube nicht, dass Sie hier außer uns viele Rebellen mit Krawatte und Laptop finden werden“, lächelt der höfliche junge Mann, der erst im vergangenen November an die Spitze der RCD berufen wurde. Gerade von den letzten internationalen Friedensgesprächen in der sambischen Hauptstadt Lusaka zurückgekehrt, träumt er denn auch von einer Kandidatur fürs höchste Amt in einem vereinten demokratischen Kongo (siehe Interview).

Doch bis dahin sind viele Imagekorrekturen zu leisten. In Goma patrouillieren noch immer von den Rebellen rekrutierte Kindersoldaten. Aug in Aug mit einem offensichtlich unter Drogen stehenden Vierzehnjährigen fragt man sich, wie lange der Finger am Abzug der lässig gegen den Besucher gerichteten Kalaschnikow wohl ruhig halten kann. Wen immer man in der Straßen der Stadt konsultiert, jeder gibt den Rebellen und ihren ruandischen Unterstützern die Hauptschuld an der verzweifelten Lage. Die Bevölkerung protestiert durch Verweigerung: Bukavu und Goma waren schon mehrmals „villes mortes“, Totenstädte, in denen Schulen, Geschäfte, Verkehrsmittel und andere Einrichtungen stillgelegt wurden. „Die Ruander“, sagt eine Studentin, und meint damit auch die kongolesischen Rebellen, „sind nur hier, um uns auszuplündern. Solange es Bodenschätze gibt, wird es keinen Frieden geben.“

Dass die Ausbeutung der Bodenschätze der wahre Kriegsgrund sei, bestätigt auch ein vor kurzem fertig gestellter Zwischenbericht der UNO. Gerade diese Tatsache jedoch könnte paradoxerweise nun ein Ende des Krieges begünstigen. Denn es dürfte allen Beteiligten mittlerweile klar geworden sein, dass sich die Förderung von Gold, Diamanten und wertvollen Metallen in einem friedlichen Kongo leichter organisieren lässt.

Das größte Gewicht kommt dabei einer Macht zu, die scheinbar weit weg vom Herzen Afrikas liegt: Der ehemaligen US-Regierung unter Bill Clinton wird zugeschrieben, eine Teilung der als unverwaltbar geltenden DRC angestrebt zu haben. Die USA unterstützten Uganda und Ruanda jahrelang in ihrem Kampf gegen den unberechenbaren Laurent Kabila. Gleichzeitig haben mehrere US-Firmen Interessen, Anteile und Schürfrechte an kongolesischen Minen.

Clintons Vorgänger George Bush soll selbst Shareholder einer im Kongo operierenden Minengesellschaft sein. Unter Kabila senior war an eine Förderung der Goldvorkommen nicht zu denken. Nun hat sowohl in Washington als auch in Kinshasa ein Machtwechsel stattgefunden: Fast gleichzeitig mit dem Amtsantritt von Bush junior war mit der Ermordung Laurent Kabilas am 16. Jänner der Weg für Kabila junior freigeworden – und damit für neue Friedensverhandlungen im Kongo.

Die neue US-Regierung hat mittlerweile sowohl Ruanda als auch Uganda aufgefordert, die jeweiligen Truppen aus dem Kongo abzuziehen. Beide überbieten sich nun mit Rückzugsplänen.

500 UNO-Beobachter sollen dann, bewacht von 2500 Blauhelmen, in der DRC stationiert werden. An einer Sicherung der 2400 Kilometer langen Front ist dabei nicht zu denken. „Die Negativen Kräfte werden sich freuen: die nehmen die zum Frühstück“, sagt ein Kongolese in Goma. Und er meint das wörtlich.