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taz: „Riesen auf schwachen Füßen“

Markenkonzerne gründen ihre Stärke auf ein teuer erworbenes Image. Genau dort sind sie angreifbar: Ihre Macht ist von den Konsumenten nur geborgt.

Etwa ab den Siebzigerjahren wurden viele bekannte Firmen zur Zielscheibe von Menschenrechts- und Umweltaktivisten. Boykottaufrufe gegen Nestlé, McDonald’s, Siemens und Shell sorgten für Aufsehen. Oft erinnert man sich heute gar nicht mehr daran, was denn damals die Ursache der Kritik war.

Mittlerweile veröffentlichen fast alle großen Unternehmen regelmäßig dicke Umwelt- und Sozialberichte. Sie beschäftigen Menschenrechtsbeauftragte und haben so genannte „Codes of Conduct“ etabliert, Verhaltensnormen, mit denen sich die Konzerne mehr oder weniger strenge Regeln zur Beachtung ökologischer und sozialer Prinzipien auferlegen. Bei Vorstandstagungen und auf den firmeneigenen Internetseiten halten neue Begriffe Einzug. Neben den „Shareholder Value“, den für Aktionäre relevanten Börsenwert eines Unternehmens, tritt der „Stakeholder Value“: Nur wer sich allen von einem Geschäft betroffenen Gruppen – den „Stakeholders“ – gegenüber richtig verhält, wird auch marktwirtschaftlichen Erfolg verbuchen können, so die Philosophie. Zu diesen unterschiedlichen Gruppen zählen Arbeitnehmer und Kunden ebenso wie die Umwelt und die Länder, in denen ein Unternehmen operiert.

In Europa müssen Unternehmen wesentlich strengere ökologische und soziale Auflagen erfüllen als in Ländern des Südens, aber auch zum Beispiel in den USA. Kritisch betrachtet, hat das jedoch dazu geführt, dass viele Firmen ihre Produktionsstandorte einfach in Gebiete mit niedrigeren Standards verlegt haben. Damit haben wir unsere Umweltprobleme in ärmere Länder exportiert und sehen uns auch mit Massenkündigungen und der Forderung nach Rücknahme sozialer Rechte konfrontiert.

Mit dem Wegfall der Grenzen im internationalen Wirtschaftsverkehr macht sich jedoch eine Gegenbewegung zur wachsenden Macht der Konzerne bemerkbar. Die Forderung der meisten Konzernkritiker konzentriert sich auf eine demokratische Kontrolle der internationalen Wirtschaft – und nicht auf ihre Zerschlagung, wie häufig unterstellt wird. Immer wieder heißt es, die angeblichen „Globalisierungsgegner“ würden einem nationalen Protektionismus, also einem Abschotten in kleinräumige Wirtschaftsenklaven, das Wort reden. In der Tat sind manche Gewerkschaftsvertreter in Europa von dieser Motivation geleitet, weil sie zehntausenden Arbeitsplätzen durch deren Verlagerung in Billiglohnländer nachtrauern. Und auch die nationalistische Rechte versucht die Bewegung zu instrumentalisieren, um möglichst schnell alle Grenzen dicht zu machen.

Eine vernünftige Konzernkritik muss jedoch die Tatsache anerkennen, dass das Zerbröckeln nationalstaatlicher Grenzen seit dem Ende des Kalten Krieges und die Beschleunigung der Weltmärkte durch neue Technologien wie das Internet nicht aufzuhalten sind. Die große Herausforderung ist es nun, Wege zu finden, diese Veränderungen als Chance für weltweite Mindeststandards in Bezug auf Freiheit und Wohlstand der Menschen – aller Menschen – zu nutzen.

Das Internet hat die Welt zum „globalen Dorf“ gemacht, in dem sich Menschen verschiedener Kontinente zum virtuellen Kaffeetratsch zusammenfinden. Die makroökonomische Entsprechung ist der „globale Supermarkt“: Im Kühlregal lagern billige Rohstoffe aus dem Kongo, in der Wühlkiste gibt’s thailändische Arbeitskräfte im Sonderangebot, in der Feinkostabteilung liegen Forscher und Designer aus aller Welt neben originellen Werbefachleuten.

Kein Sportschuh, fast kein Fernseher und nur noch wenige Autos werden heute dort hergestellt, wo die Firmen, die diese Dinge verkaufen, ihren Sitz haben. Rohstoffe kommen schon seit den Kolonialzeiten aus Afrika, Lateinamerika und Asien zu uns. Und während man hierzulande noch diskutiert, indische Computerexperten gnädigerweise nach Europa einreisen zu lassen, lagern viele Firmen auch ihre Forschungs- und Technologieabteilungen längst in Billiglohnländer aus. Die größten Absatzmärkte sind – einstweilen – noch in den westlichen Industrieländern zu finden.

Diese globale „Aufgabenteilung“, die auch eine Teilung zwischen Arm und Reich ist, ist keine unumstößlich festgeschriebene Weltordnung – auch wenn sich viele damit abgefunden zu haben scheinen. Nicht nur Wirtschaftsvertreter argumentieren, dass gerade dieses Ungleichgewicht eine Dynamik erzeugt, in der Investitionen von reichen Ländern in die ärmeren Länder fließen und dort langfristig Wohlstand erzeugen werden.

„Es gibt nur eines, das schlimmer ist, als von den Multis überrollt zu werden: nicht von den Multis überrollt zu werden“, schreibt der Soziologe Ulrich Beck. Das romantische Bild des Urwaldbewohners, der sich von seiner Biobanane ernährt und fröhlich sein Brauchtum pflegt, ist in den meisten Fällen nicht mehr als eine Projektion westlicher Wohlstandsbürger, die sich als Ökotouristen in den Restplatzparadiesen ein paar Illusionen sichern wollen. In gewisser Weise ist das nichts anderes als eine subtile Form des Kolonialismus. Denn auch Azteken, Massai und Tibeter müssen das Recht haben, auf Internet, moderne Medizin und Konsumgüter zurückgreifen zu können, wenn sie das wünschen. Ob das gleichbedeutend mit Microsoft, Aspirin und Coca-Cola sein muss, hängt davon ab, wie sehr sie die Chance erhalten, über ihre Bedürfnisse selbst zu entscheiden. Tatsache ist, dass viele Länder derzeit ohne internationalen Wirtschaftsverkehr weder über ökonomische Rücklagen verfügen noch über teure Technologien und meist auch nicht über das Know-how, um selbst Strukturen aufzubauen, die ihren Einwohnern einen vergnüglichen Lebensstandard bieten.

Adidas, Chicco, Aldi und andere beziehen ihre Produkte zu einem großen Teil aus Billiglohnländern. Positiv gesehen könnte das heißen, dass diese Konzerne dort Millionen von Arbeitsplätzen sichern und damit die Grundlage für Entwicklung und Wohlstand schaffen. Die Realität sieht jedoch anders aus: Die Bezahlung der Fabrik- und Plantagenarbeiter orientiert sich meist an den Mindestlöhnen der einzelnen Länder oder liegt sogar darunter. Die Mindestlöhne richten sich aber nicht – wie in den meisten westlichen Ländern – danach, was ein Mensch zum Leben, zur Ernährung seiner Familie, für die Schulbildung seiner Kinder und die Pensionsvorsorge braucht. Sie richten sich in zahlreichen Ländern in erster Linie danach, was diesen Ländern von Weltbank und Währungsfonds an öffentlichen Ausgaben zugestanden wurde.

Westliche Firmen beuten nicht nur Millionen von Arbeitskräften aus, sie haben auch die totale Kontrolle über die natürlichen Reichtümer zahlreicher Länder. Verkehrte Welt: Angola, Brasilien, Indonesien, Nigeria und mit ihnen der überwiegende Teil der Entwicklungsländer verfügen über ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an natürlichen Schätzen wie Erdöl, Gold, Diamanten, Kupfer, Edelhölzern, Kaffee, Kakao und Bananen. Und dennoch hungern dort große Teile der Bevölkerung und haben weder Zugang zu Medikamenten noch zu Schulen.

Den meisten Entwicklungsländern fehlt es an Technologien und Möglichkeiten zur Gewinnung und Vermarktung ihrer Reichtümer. Deswegen ist es vorläufig notwendig und sinnvoll, dass internationale Konzerne dort in Bergbau und Landwirtschaft investieren. Es wäre absurd zu verlangen, dass sie dabei nichts verdienen sollen. Doch wenn man genauer hinsieht, handelt es sich hier in den wenigsten Fällen um faire Deals: Unter dem Druck der internationalen Finanzinstitute dürfen die hoch verschuldeten Staaten nur lächerliche Steuerbeträge auf die Schwindel erregenden Exportgewinne erheben. Außerdem liefern sich viele Regierungen untereinander einen zerstörerischen Konkurrenzkampf um ausländische Investoren. Häufig geht es dabei auch um Schmiergelder, die die lokalen Eliten im Tausch gegen günstige Produktionsbedingungen von internationalen Konzernen einstreichen. Mangels transparenter Kontrollen verschwindet oft mehr Geld in korrupten Kanälen, als in Form von Steuern im Lande bleibt.

Der internationale Rohstoffhandel ist aber nicht nur unfair, was den tatsächlichen Wert der gewonnenen Güter auf dem Weltmarkt betrifft. Die Gewinnung von Ressourcen und Energie in ärmeren Ländern erfolgt oft unter Bedingungen, die in Westeuropa undenkbar wären. So werden beim Bau von Großkraftwerken Millionen von Menschen vertrieben, ohne eine angemessene Entschädigung zu erhalten. Im Goldbergbau werden Gifte eingesetzt, die zur Zerstörung ganzer Lebensräume führen. Ähnliches passiert bei der Erdölproduktion aufgrund des Einsatzes völlig veralteter Technologien.

Noch schlimmer: In Konfliktgebieten und Diktaturen wie Angola, Birma, dem Kongo und dem Sudan tolerieren bekannte internationale Markenfirmen, dass mit ihrem Rohstoffbezug Waffenhandel, Bürgerkriege, Rebellionen und brutale Militärregimes finanziert und aufrecht erhalten werden. Auch Nahrungsmittelfirmen akzeptieren bisweilen stillschweigend, dass auf den Plantagen ihrer Lieferanten Männer, Frauen und Kinder ausgebeutet, durch Pflanzenchemikalien vergiftet oder sogar versklavt werden.

Ist das die Arbeitsplatzsicherung in ärmeren Ländern, von der die Konzerne so gerne sprechen? Müssen Kindersklaven und Hungerlöhner, Bürgerkriegssoldaten und Versuchskaninchen ihren Arbeitgebern und Investoren wirklich dankbar sein für diese Art von Entwicklungshilfe? Ist es ein Wunder, dass sich immer mehr Menschen gegen eine Globalisierung auflehnen, die das Wort „Investition“ zunehmend als eine andere Bezeichnung für „Ausbeutung“ versteht?

Es wird Zeit, die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Imagepflege ist nicht genug. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“, heißt es im deutschen Grundgesetz. Schöne Worte. Echte, ernsthafte, nachhaltige und transparente Veränderungen sind gefragt. Investitionen in ärmere Länder sind lebensnotwendig, aber sie müssen von unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen kontrolliert werden, damit nicht der Profit aus der Armut das Elend fortschreibt. Hier kommt auch den Gewerkschaften eine zentrale Rolle zu: Während sie in Europa selbst an Image eingebüßt haben, indem sich viele altgediente Funktionäre auch gegen sinnvolle Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt sträuben, ist die internationale Solidarität der Gewerkschaften dringend gefragt. An der Seite von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen arbeiten jetzt schon westliche und lokale Gewerkschaftsvertreter an der Aufdeckung der skandalösen Missstände in den Sweatshops und auf den Plantagen zusammen. Sie brauchen die tatkräftige Unterstützung ihrer Organisationen, um wirklich etwas erreichen zu können.

Marken gründen ihre Macht auf ein mit Werbemilliarden gepflegtes Image. Genau dort sind sie angreifbar. Wenn sich Marken als besonders modern, sozial, gesund, sportlich fair, kinderlieb, multikulturell oder frauen-, familien- und umweltfreundlich darstellen, ist es nur gerecht, wenn man sie an ihren eigenen Werten misst. Marken bieten aber nicht nur ein effektives Angriffsziel für kritische Konsumenten. Sie sind die „Trendsetter“ der Weltwirtschaft. Oft näht ein und dieselbe indonesische Arbeiterin nacheinander die Etiketten von Nike, Reebok und eben einer unbekannten Firma auf die jeweiligen Sportschuhe. Es liegt aber in der Macht der großen Labels mit ihren tausenden Produktionsstandorten, über die Bedingungen zu entscheiden, unter denen das geschieht.

Das Internet, das den Weltmarkt beschleunigt hat, ist gleichzeitig die stärkste Waffe der Konzernkritiker. Die Konzerne sind alarmiert: Ihr Machtvorsprung, den sie seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gegenüber politischen Institutionen errungen haben, ist nur ein Etappensieg. Es beginnt sich eine zivilgesellschaftliche Bewegung zu regen, die auch in Europa zunehmend lauter und wütender wird. So wie die Macht politischer Vertreter eine vom Volk verliehene Macht ist, ist die Macht der Konzerne nur von den Konsumenten geborgt. Mit jedem Bild von versklavten Kindern, mit jedem Beitrag über geschundene Arbeiter, mit jedem Bericht über missbrauchte Patienten oder zerstörte Naturschönheiten bröckelt ein Stück von ihr ab.