Kategorie: Weltnachrichten

  • Bettelverbote und die Verwahrlosung der Wiener SPÖ

    Als Erster hat der Grüne Landtagsabgeordnete Martin Margulies darauf hingewiesen: Die Wiener SPÖ möchte in der Landtagssitzung am 26. März einen Initiativantrag zur polizeilichen Verfolgung von BettlerInnen einbringen. In Zukunft sollen all jene des Ortes verwiesen werden, die „andere Personen beim widmungsgemäßen Gebrauch von öffentlichen Einrichtungen unzumutbar beeinträchtigen“.

    sipolbettelei11Wer damit gemeint ist, kann in der Begründung nachgelesen werden: Obdachlose, DrogenkonsumentInnen, bettelnde Menschen, Menschen mit „verwahrlostem Auftreten“.  Außerdem soll das „gewerbsmäßige Betteln“ verboten werden: Betteln soll „sofern die Absicht der wiederkehrenden Begehung zur Verschaffung einer fortlaufenden Einnahmequelle zu bejahen ist, strafbar sein.“ Was in der Praxis bedeutet, dass alle BettlerInnen, aber auch Personen, die der Polizei aufgrund ihres nonkonformistischen Aussehens nicht zu Gesicht stehen, mit dem Verweis von öffentlichen Plätzen oder Geldstrafe von bis zu 700 Euro bzw. Freiheitsstrafe von bis zu einer Woche rechnen müssen.

    Das heißt: Statt Armut zu bekämpfen hat sich die Wiener SPÖ nun entschieden die Armen zu bekämpfen. Und erntet dafür tosenden Applaus der FPÖ. Durch die Begriffsbestimmung werde schließlich nahezu jede Form der Bettelei, die derzeit in Wien auftrete, unter Strafe gestellt, jubelt auch die ÖVP, obwohl die SPÖ behauptet, kein generelles Verbot des Bettelns einführen zu wollen. Der „Kurier“ startete gar eine Umfrage: „Fühlen Sie sich von Bettlern belästigt?“ – „Ja, Bettler gehören nicht in ein modernes Stadtbild“, antworteten knapp 70 Prozent von 72 LeserInnen, die bis heute mitgestimmt haben.

    Die Straßenzeitung „Augustin“ erinnert an die Kategorisierung von „Verwahrlosten“ im Wien des Nationalsozialismus und erinnert die Häupl-SPÖ: „Vor hundert Jahren hätte die Sozialdemokratie gegen eine solche Armeleute-Bekämpfungs-Justiz einen Generalstreik diskutiert.“ Auch die Wiener Bettellobby verurteilt den Gesetzesentwurf scharf: „Die (…) Erweiterung der Wegweisung zeugt  von einer in Wien – seit der nationalsozialistischen Verwaltung – noch nie da gewesenen Intoleranz gegenüber Menschen, die von Armut betroffen, suchtkrank bzw. nicht Mainstreamkonform sind.“

    Als ich auf Facebook auf die ethische Verwahrlosung der Wiener SPÖ hinwies, konterte deren Klubobmann Siegi Lindenmayr nur patzig „dass sich Quereinsteiger besonders bemühen müssen, bei den etablierten Basis-Grünen Fuß zu fassen“. Auf inhaltliche Argumente ging er nicht ein. Zwei Kommentatoren warfen den Grünen – die als Einzige nächste Woche gegen den SP-Antrag stimmen werden – vor, „Leute, die organisierte Bettlerei (…) stört, nicht ernst zu nehmen“ bzw. „ins rechte Eck“ zu stellen. Das haben die Grünen zwar mit keinem Wort getan, sondern nur – zugespitzt, aber völlig zurecht – die Wiener SPÖ. Außerdem dürften noch immer viele Menschen ein paar Mythen über „organisiertes Betteln“ in Wien aufsitzen, die z.b. hier aufgeklärt werden.

    Außer Streit steht, dass alle Formen von Menschenhandel und Ausbeutung unabhängig von der sozialen Herkunft der TäterInnen professioneller und vor allem strukturell nachhaltiger bekämpft werden müssen (wozu der vorliegende Gesetzesentwurf allerdings rein gar nichts beiträgt!). Warum muss man das bei Bettlern eigentlich dazusagen, nicht aber z.B. bei organisierten Bankern? Ich stelle hier auch die Frage, mit welchem Recht sich Mittelstandsangehörige, die sich in ihren Berufen erfolgreich organisieren, Menschen, die am unteren Rand der Gesellschaft überleben wollen, das Recht zur Organisation absprechen? Und warum auch sonst kritische Geister bei sozial Benachteiligten „organisiert“ offenbar gleich als „kriminell organisiert“ denken?

    buffonOder noch konkreter, wie es Philipp Sonderegger ausdrückt: „Wessen Komplize bin ich?“ Und weiter: „Das perfide an diesem Vorhaben (der Wiener SPÖ, Anm.) ist, dass eine nachvollziehbarer Empfindung mißbraucht wird, um eine unbillige Maßnahme durchzusetzen. Man muß verwahrloste Menschen nicht unbedingt mögen, aber hier wird die Abneigung gegen Randgruppen instrumentalisiert, um die Privatisierung des öffentlichen Raums voran zu treiben.“

    Dagegen wehren wir uns. Und zwar in Form eines Flashmobs am 26. März, dem Tag der Landtagssitzung, ab 9 Uhr vor dem Wiener Rathaus (Eingang Liechtenfelsgasse): Kommt so verwahrlost wie möglich, um gewerbsmäßig (allfällige Einnahmen kommen der „Bettellobby“ zugute) gegen dieses Gesetz und die ethische Verwahrlosung und den Rechtsruck der Wiener SozialdemokratInnen zu betteln!

    Leseempfehlung:

  • Solidarität

    Die Spitzen des Österreichischen Gewerkschaftsbundes sind ja häufig nicht gerade ein Beispiel für gelebte globale Solidarität und Angriffigkeit – zu sehr dominiert dort noch der alte sozialpartnerschaftliche Machtapparat und national denkende Besitzstandswahrer. Ganz zu schweigen von der mangelnden Solidarität mit den Erwerbslosen.

    Umso mehr hat es mich gefreut, bei folgendem Video des ÖGB-Verlages mitspielen zu dürfen (ab Minute 10:40):

  • Tomawien will's wissen: Meine Wahlempfehlung

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    Tomawiens wohltätiger Bürgermeister Michael Hynpl schwört ab sofort dem Absolutismus ab und führt die Demokratie ein: Tomawien will’s wissen und befragt das Volk. Hier meine Wahlempfehlung:

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    Und niemals vergessen:

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  • Jetzt alle zusammen: Fuck Na C. Strache!

    Ja, es ist Hardcore, was ein 15jähriger da über den Führer der Rechten gedichtet hat. Und viele mögen sich über die Gewaltanspielungen alterieren. Aber dieser Protestsong ist nicht nur ein erstaunliches Zeichen jugendlichen (Über-)Muts, sondern auch die auf hohem künstlerischen Niveau artikulierte Wut über die destruktrive Kraft der rassistischen Rechten.

    Und Kunst darf, soll, muss verdichten und überzeichnen. Auf Bühnen fließt Bühnenblut, schon Shakespeares Helden ließen die Schwerter klirren und auch ich richte bei meinen Shows den Revolver aufs Publikum (siehe Bild unten bzw. auf diesem Videoporträt), um gewaltsame Machtverhältnisse zu thematisieren.

    „N steht für Nazi, der total spinnt. A für den Abschaum, der Sie sind. C steht für Clown. Sie sind eine Strafe. Jetzt alle zusammen: ‚Fuck Na C.-Strache’“ Big DnC aka Mr. Big

    hetz

    Und für alle, denen man Bilder erklären muss: Das ist kein Aufruf zur physischen Gewaltanwendung. Sondern eine künstlerische Reflexion über bereits bestehende und drohende Gewaltverhältnisse.

    Gut, dass es Jugendliche gibt, die sich damit in ihrer eigenen Sprache auseinandersetzen.

    Falter-Artikel über Jugendliche gegen Rechts

  • Zehn Jahre Helge.at: Gratuliere!

    Österreichs führender Blogger Helge Fahrnberger, nein, sein Weblog helge.at, ist nun zehn Jahre alt. Ich gratuliere sehr herzlich! Und freue mich, dass ich damals dabei sein durfte, als Helge unsere Erlebnisse in Mali und Burkina Faso per Satellitentelefon direkt in den Himmel, wo das Internet wohnt, verfügte.

    Für die Veröffentlichung meiner eigenen Artikel über das Dogonland und über ein Waisenhaus in Ouagadougou wurden damals noch Bäume gefällt und Druckereiarbeitsplätze geschaffen.

  • Kopenhagen: Der Betrug mit dem Emissionshandel

    Anlässlich der Klimakonferenz in Kopenhagen möchte ich hier auf die interessanten Blogs von Greenpeace-Mitarbeiter Bernhard Obermayr und Andreas Lindinger verweisen. In Letzterem bin ich auf dieses sehenswerte Video von “The Story of Stuff”-Macherin Annie Leonard gestoßen, das die Tücken des in Kopenhagen verhandelten Emissionshandels anschaulich macht:

  • Von allen guten Geistern verlassen: Regierungsprecher beschimpft Twitterer als "Jubelperser"

    Daniel Kapp, Sprecher von von ÖVP-Vizekanzler Josef Pröll, liefert sich schon seit geraumer Zeit mit seinem Alter Ego, Kanzlersprecher Leo Szemeliker sandkastenartige Scharmützel auf dem Kurznachrichtendienst Twitter – vor den Augen der zunächst erheiterten, mittlerweile aber zunehmend genervten Online-Community.

    Nun hat ersterer offenbar in einer Art kindlichem Kränkungsanfall die Fassung verloren und beginnt den Sand aus der Kiste zu werfen. Als erstes auf den Journalisten und Blogger Robert Misik (siehe dessen Weblogeintrag). Und weil ich und zwei weitere Twitteranten – beides offenbar junge, politisch interessierte Bürger – das als unwürdiges Schauspiel empfinden, beschimpft der Regierungssprecher uns nun taxfrei als „Jubelperser“ – also jene Leute, die zum Teil als Agenten des iranischen Geheimdienstes mit Holzlatten auf Studenten einprügelten, die 1967 gegen die diktatorische Herrschaft des Schahs im Iran demonstrierten.

    kapp

    Nun kann man das, angesichts des oft flapsigen Stils auf Twitter, als halblustige Kinderei abtun. Wenn aber ein Sprecher eines österreichischen Regierungsmitglieds so leicht zu kränken ist, dass er schon wegen eines nichtigen Anlasses die eigenen BürgerInnen öffentlich unter der Gürtellinie angreift, dann ist das nicht nu „zuviel der Bürgernähe“, wie Blogger Helge Fahrnberger richtig anmerkt, sondern ein Übergriff, der wieder einmal die verrottete Moral dieser Regierung im Verhältnis zur eigenen Bevölkerung zeigt.

  • Die Uni brennt, weil wir für Bildung brennen

    Als ich 1987 zum Studieren nach Wien kam, begann auf den Universitäten gerade ein sogenannter „heißer Herbst“. In den Hörsälen wurden Protestaktionen für studentische Mitbestimmung und gegen Sparpakete diskutiert, im „Türkenwirt“ (heute TüWi) und im legendären TU-Club Transparente gemalt, und bei Demonstrationen am Ring erfuhr ich zum ersten Mal unfreiwilligen Körperkontakt mit der Polizei. Ich weiß nicht mehr, wieviele unserer Forderungen wir damals gegenüber Wissenschaftsminister Hans Tuppy durchsetzen konnten, aber ich weiß, dass die teilweise endlosen Diskussionen, die Erfahrungen mit Polizei, etablierter Politik und den konkurrierenden Studierendenfraktionen, vor allem aber die Mischung aus Aktionismus und Partystimmung mit meinen MitstreiterInnen meine politische Menschwerdung erheblich beeinflusst haben.

    Dabei war die Situation damals im Vergleich zu heute überaus gemütlich: Keine Studiengebühren, keine Telefongrundgebühr, Freifahrt mit den Öffis, ja sogar regelmäßig gratis Heimfahren zum Wäschewaschen bei Muttern war möglich, und mit dem Studieren ließ ich mir: Zeit. Ich habe mir schlicht und einfach keinen Stress gemacht, das Studium dann dennoch abgeschlossen und danach, so wie die meisten meiner FreundInnen (auch jene, die bis heute noch keine Diplomarbeit haben) einen interessanten und herausfordernden Job gefunden. Es ist, wie man so sagt, was aus mir worden, und zwar vielleicht sogar mehr als aus vielen jener, die uns bei den Demos stereotypartig zugeraunt haben: „Geht’s wos orbeiten“.

    Herzensbildung

    Warum ich das sage? Weil diese Zeit, die Seminare und Vorlesungen genauso wie das Laissez-faire, die enorme Freiheit in der Entscheidungsfindung über Inhalte und Zeiteinteilung, die gemeinsamen Aktionen, Reibereien, Diskussionen und Feiern und vor allem die vielen Sozialkontakte den wahrscheinlich wesentlichsten Anteil zu meiner späteren „Karriere“ als freier, selbständiger Mensch beigetragen haben, obwohl (oder weil) ich meinen Magister nie und die Vorlesungsinhalte später kaum beruflich nutzen konnte oder musste. Die Uni war für mich nicht Ausbildung, sondern mehr oder weniger zweckfreie Bildung – auch Herzensbildung.

    Und ich hätte ehrlich gesagt in letzter Zeit nicht mehr damit gerechnet, dass ausgerechnet die angeblich so unpolitische, unter dem Druck von Verwertungskategorien stehende „Generation Praktikum“ genau für das kämpfen würde: Für freien Zugang zu Bildung für alle, gegen den neoliberalen Verwertungszwang, für eine gerechte Verteilung der gesellschaftlichen Reichtümer, gegen Konkurrenz- und Leistungsdruck.

    Reclaim the Streets

    Und schlichtweg von den Socken bin ich, wie schnell das alles gegangen ist: Dass sich da innerhalb kürzester Zeit ameisen- und netzwerkartig Tausende selbst und ohne Direktive von „oben“ organisieren und öffentlichen Raum besetzen: das Audimax und andere Hörsäle, Straßen und Ministerien, aber virtuelle Räume wie Facebook, Twitter, Livestream und damit einen demokratischen öffentlichen Diskurs über demokratische öffentliche Räume und demokratische öffentliche Bildung erzwingen und damit erst möglich machen. „Wessen Bildung? Unsere Bildung! Wessen Straße? Unsere Straße! Wessen Stadt? Unsere Stadt! Wessen Zukunft? Unsere Zukunft! (Und auch: Wessen Polizei? Unsre Polizei!)“ skandierten die Studierenden am Samstag in Wien. Dem ist nichts hinzuzufügen außer dem Wunsch, dass dieses lustvolle „Reclaim the Streets!“ mit ähnlicher Power auch auf andere Gesellschaftsbereiche überschwappen möge: Die politischen und zivilgesellschaftlichen Institutionen, den Diskurs über die gerechte Verteilung öffentlicher Reichtümer oder den Kampf um öffentliche Räume wie dem Augarten.

    Hahnverhaltung

    Der Hahn, der solche Bildungseier legt, ist gerupft. Der Exchef der ehrenwerten Gesellschaft Novomatic, der nun als Wissenschaftsminister unsere Zukunfts- und Bildungschancen verzocken will, gemahnt damit an folgende Beurteilung seiner Dissertation: „Eine Arbeit minderer Qualität, die stellenweise an das Banale und sogar Peinliche grenzt. (…) Die Schlamperei grenzt an Fahrlässigkeit. Mit Wissenschaft hat das nur als abschreckendes Beispiel zu tun.“

  • In weiter Ferne so nah: Europa

    Vorarlberg hat gewählt. Ui! Die SPÖ stinkt ab. Uiui! Oberösterreich wählt am kommenden Sonntag. Uiuiui! Worüber dieser Tage kaum jemand redet: In einer Woche stimmt Irland über das Vertragswerk von Lissabon ab – und damit über die Zukunft der Europäischen Union. Unsere Zukunft, falls es wer vergessen hat. Man könnte es fast meinen.

    Ich stehe den Verträgen gelinde gesagt reserviert gegenüber. Nicht nur, weil Sie Neoliberalismus und Militarisierung quasi in den Verfassungsrang heben und damit für ewige Zeiten festschreiben. Sondern auch, weil im gesamten Vertragsprozess so gut wie alles falsch gemacht wurde, was man nach demokratischen Kriterien falsch machen kann. Eine Reihe von Argumenten findet sich auf der Seite no-means-no.eu des globalisierungskritischen Netzwerks Attac.

    Für die Wiener Grünen habe ich Anfang des Jahres einen Text verfasst, den ich anlässlich des Referendums hier nochmal wiedergeben möchte:

    Und als nächstes: Die WU

    Ein vereintes Europa galt noch vor nicht allzu langer Zeit als utopisch. Warum nicht gleich die Utopie einer Weltunion denken?

    Die alte Dame Europa hat ihre beste Chance verpasst. Nein, nicht wegen des Vertrags von Lissabon, den ein paar irre Iren den Abermillionen europhorischer Kontinentaleuropäer madig gemacht haben. Sie hat die Chance nicht genutzt, sich nach der Fußball-Europameisterschaft im vergangenen Jahr mit „die Euro“ statt „der Euro“ anreden zu lassen. Wo doch klar sein sollte, wer von den beiden die besseren Beliebtheitswerte hatte! Oder hat jemand im Juni 2008 unter all den Fähnchen mit oder ohne Zeitungslogo eine einzige EU-Fahne wehen gesehen? Und warum ist die fast niemandem abgegangen?

    Vielleicht, weil die europäischen Eliten auf die Fanmeile, das Fußvolk Europas vergessen haben. Weil sie dort nur nationalpopulistische Hooligans (Krone, Strache, H.P.Martin) vermuteten, forderten sie nach dem irischen „Nein“ alle VertragskritikerInnen pauschal auf, sich doch bitte einfach zu schleichen. „Ame-o ou deixe-o“ hieß das in der brasilianischen Diktatur der Siebziger Jahre: If you don’t love it, leave it. Wer die Lissaboner Verträge als zu undemokratisch, zu unsozial und vor allem als zu unlesbar empfand, wurde pauschal als uneuropäisch diffamiert. Auch vom EU-Abgeordneten Johannes Voggenhuber: „Mit denen ist keine Allianz möglich, weil sie die EU für unreformierbar halten“, behauptete er noch Ende November, nachdem ruchbar wurde, dass die grüne Parteispitze mehr Nähe zu GlobalisierungskritikerInnen suchte. Dabei haben gerade Attac & Co., aber auch namhafte Intellektuelle nichts anderes getan als eine demokratische Reform des Projekts Europa einzufordern.

    Zum Lissaboner Vertragswerk selbst habe ich übrigens keine Meinung. Ich bin schlicht zu doof es zu verstehen. Dabei hielte ich es nicht für ganz abwegig, wenn Verträge von den potenziell Betroffenen verstanden werden können. Die Europäische Union hingegen, die finde ich grundsätzlich super. Die empfinde ich mittlerweile fast als eine Art Mama, die uns beschützt, wenn Papa Staat wieder mal seine Ausfälle kriegt. Und zum Beispiel auf meinen Grundrechten oder denen von Minderheiten herumprügelt. Nicht auszudenken, wenn sie uns mit ihm allein lassen würde. Das Beste an der EU ist aber, dass sie dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital die vierte und wichtigste Grundfreiheit anheimgestellt hat: Den freien Personenverkehr. Wer möchte, kann sich innerhalb Europas frei bewegen, sich niederlassen und arbeiten. (mehr …)

  • Warum ich Rassist bin

    zehnkleine1FM4 verzeichnet mit seiner Berichterstattung über die neue Eskimo-Werbelinie „I will mohr“ ein All-Time-High an Forumsbeiträgen. FM4-Autor Martin Blumenau erkennt darin eine „Flut von Postings, die gar nicht wirklich auf die Geschichte und das Gesagte reagieren, sondern auf ein sehr diffuses ‚Dahinter’“. Auch in der Blogosphäre und auf Twitter geht’s rund, und sogar der von mir gegründeten Facebook-Gruppe „Stop racist Unilever-Campaign in Austria“ mit immerhin 500 Mitgliedern in zwei Tagen treten Einzelne nur mit dem Ansinnen bei, das Gruppenanliegen zu delegitimieren. Der Tenor: „Mohr im Hemd“ sei eine traditionelle österreichische Süßspeise, „Mohr“ ein ohnehin antiquiertes Wort, mit dessen Verwendung Unilever Österreich keine rassistischen Absichten pflege. Und überhaupt gebe es wichtigere Probleme als das politisch korrekte respektive übersensible Rumreiten auf Wörtern (gibt es, aber wer von denen die das monieren hat sich bislang für die Lösung „wichtigerer“ Rassismusprobleme engagiert?).

    Dass Unilever rassistische Absichten hege hat dem multinationalen Unternehmen meines Wissens auch niemand vorgeworfen. Die dienen vielleicht – natürlich nicht explizit – als Legitimation auf anderer Ebene, nämlich da, wo man es aus Profitinteressen für legitim erachtet, Rohstoffe und Arbeitskräfte auszubeuten, etwa in der Palmölgewinnung oder bei der Ausbeutung afrikanischer oder indischer Tee- und BaumplantagenarbeiterInnen. In der aktuellen Werbekampagne profitiert man, indem man rassistische und kolonialistische Klischees ignorierend bedient, allenfalls vom fehlenden antirassistischen Grundkonsens im diesbezüglichen Entwicklungsland Österreich.

    Und der ist tatsächlich gravierend. Und zwar nicht nur da, wo etwa in den Kommentaren zu einem Bericht der Gratis-Schundzeitung Heute Afrikaner taxfrei aufgefordert werden, sich doch „in den Busch“ zurückzuschleichen (der Kommentar wurde mittlerweile gelöscht, entlarvend auch für die „Mohr im Hemd“-Freunde dafür ein anderer: „Es ist lange her, das man mit dem Begriff ‚Mohr‘ das Meinl-Logo oder Mehlspeise verband. Die heutige Spontanassoziation ist Asylbetrug und Drogendealer“). Sondern auch im aufgeklärten, linksliberalen Milieu. Da gibt sich etwa der Grünsympatisant Gerald Bäck unwissend, nicht ohne gegen „politische Korrektheit“ zu polemisieren, während andere wie der Schwulenaktivist Tom Kalkus oder der DÖW-Förderer und Sozialdemokrat Thomas Knapp auf einer Ebene witzeln, die nicht mehr sehr weit entfernt von ähnlichen Polemiken über antirassistischen Sprachgebrauch durch Neonazis ist.

    What’s going wrong?  Ein Problem liegt sicher in der fast völlig fehlenden Aufarbeitung von Rassimus, Faschismus und Kolonialismus im österreichischen Bildungs- und Mediensystem. Wer im Kindergarten noch die zehn kleinen Negerlein abgesungen hat und daraus mangels öffentlichem Diskurs auch als Erwachsener keine Schlüsse gezogen hat, an dem ist womöglich auch die jahrelange Aufklärungsarbeit antirassistischer Organisationen oder VertreterInnen der Black Community (knapp am Arsch) vorbeigegangen. Das kann passieren, obwohl ich es zumindest bei Intellektuellen auch als eine Holschuld betrachte, sich diese Aufklärung anzueignen. Ein anderes Problem ist aber die ebenfalls typisch österreichische reflexartige Schuldumkehr, die ihre Ursache vermutlich in der psychosozialen Verfasstheit der Nazienkelgeneration hat: „Ich bin kein Rassist“ lautet die, und wer mir – oder auch Dritten – Rassismus unterstellt, wird als übersensibler, humorloser Gutmensch delegitimiert.

    Dazu sollte ich vielleicht mal Folgendes klarstellen: Ich für meinen Teil bin Rassist. Ich bin Rassist, weil auch ich strukturell rassistisch sozialisiert bin, auf rassistische Kodizes zum Teil unbewusst reagiere (etwa wenn ich bei Menschen anderer Hautfarbe spezifische Eigenschaften oder Verhaltensweisen antizipiere) und weil auch ich bis vor nicht allzu vielen Jahren z.B. nicht gewusst habe, dass und warum Ausdrücke wie Farbige etc. rassistisch bzw. potenziell verletzend sind. Das ist auch kein Verbrechen – solange man sich des eigenen, anerzogenen strukturellen Rassismus (ähnlich verhält es sich mit Sexismus, Homophobie, Antisemitismus etc.) bewusst ist, diesen reflektiert und vor allen Dingen auf entsprechende Hinweise – etwa durch Betroffene – wohlwollend reagiert. Wenn das aber nicht geschieht, dann ist – und ich verwende den Ausdruck bewusst – auch struktureller und z.B. sprachlicher Rassismus ein Verbrechen, weil er gegen die Menschenwürde verstößt. Und deshalb auch nicht Gegenstand der freien Meinungsäußerung. Dass sich das bei uns – im Gegensatz zu entwickelten Ländern wie z.B. Brasilien – noch nicht in der Gesetzgebung niedergeschlagen hat, ist keine Legitimation sondern ein politischer Missstand.

    Wer also seine Aufklärung nachholen will, dem sei z.B. das Buch „Deutschland Schwarzweiß – der alltägliche Rassismus“ von Noah Sow ans Herz gelegt. Aufschluss über den alltäglichen Rassismus in Wien bietet auch Markus Wailands Film „Here to stay“ (kurzer Ausschnitt auf Youtube, aktueller Kommentar im Standard). Dort erklärt die afroamerikanische Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, wie in New York mit rassistischen Schmierereien wie in Wien umgegangen würde: „In Amercia people tend to solve problems with major forms of violence. There would probably be very little discussion. There would be a bloodshed.“ Das ist vielleicht auch nicht ideal, aber ich mag die erfrischende Klarheit, mit der sie das sagt.

    Nachtrag 6.8.: Hier noch ein sehr lesenswerter Kommentar der Sprachwissenschafterin Verena Krausnecker: Mach dir nicht ins Hemd