Als Erster hat der Grüne Landtagsabgeordnete Martin Margulies darauf hingewiesen: Die Wiener SPÖ möchte in der Landtagssitzung am 26. März einen Initiativantrag zur polizeilichen Verfolgung von BettlerInnen einbringen. In Zukunft sollen all jene des Ortes verwiesen werden, die „andere Personen beim widmungsgemäßen Gebrauch von öffentlichen Einrichtungen unzumutbar beeinträchtigen“.
Wer damit gemeint ist, kann in der Begründung nachgelesen werden: Obdachlose, DrogenkonsumentInnen, bettelnde Menschen, Menschen mit „verwahrlostem Auftreten“. Außerdem soll das „gewerbsmäßige Betteln“ verboten werden: Betteln soll „sofern die Absicht der wiederkehrenden Begehung zur Verschaffung einer fortlaufenden Einnahmequelle zu bejahen ist, strafbar sein.“ Was in der Praxis bedeutet, dass alle BettlerInnen, aber auch Personen, die der Polizei aufgrund ihres nonkonformistischen Aussehens nicht zu Gesicht stehen, mit dem Verweis von öffentlichen Plätzen oder Geldstrafe von bis zu 700 Euro bzw. Freiheitsstrafe von bis zu einer Woche rechnen müssen.
Das heißt: Statt Armut zu bekämpfen hat sich die Wiener SPÖ nun entschieden die Armen zu bekämpfen. Und erntet dafür tosenden Applaus der FPÖ. Durch die Begriffsbestimmung werde schließlich nahezu jede Form der Bettelei, die derzeit in Wien auftrete, unter Strafe gestellt, jubelt auch die ÖVP, obwohl die SPÖ behauptet, kein generelles Verbot des Bettelns einführen zu wollen. Der „Kurier“ startete gar eine Umfrage: „Fühlen Sie sich von Bettlern belästigt?“ – „Ja, Bettler gehören nicht in ein modernes Stadtbild“, antworteten knapp 70 Prozent von 72 LeserInnen, die bis heute mitgestimmt haben.
Die Straßenzeitung „Augustin“ erinnert an die Kategorisierung von „Verwahrlosten“ im Wien des Nationalsozialismus und erinnert die Häupl-SPÖ: „Vor hundert Jahren hätte die Sozialdemokratie gegen eine solche Armeleute-Bekämpfungs-Justiz einen Generalstreik diskutiert.“ Auch die Wiener Bettellobby verurteilt den Gesetzesentwurf scharf: „Die (…) Erweiterung der Wegweisung zeugt von einer in Wien – seit der nationalsozialistischen Verwaltung – noch nie da gewesenen Intoleranz gegenüber Menschen, die von Armut betroffen, suchtkrank bzw. nicht Mainstreamkonform sind.“
Als ich auf Facebook auf die ethische Verwahrlosung der Wiener SPÖ hinwies, konterte deren Klubobmann Siegi Lindenmayr nur patzig „dass sich Quereinsteiger besonders bemühen müssen, bei den etablierten Basis-Grünen Fuß zu fassen“. Auf inhaltliche Argumente ging er nicht ein. Zwei Kommentatoren warfen den Grünen – die als Einzige nächste Woche gegen den SP-Antrag stimmen werden – vor, „Leute, die organisierte Bettlerei (…) stört, nicht ernst zu nehmen“ bzw. „ins rechte Eck“ zu stellen. Das haben die Grünen zwar mit keinem Wort getan, sondern nur – zugespitzt, aber völlig zurecht – die Wiener SPÖ. Außerdem dürften noch immer viele Menschen ein paar Mythen über „organisiertes Betteln“ in Wien aufsitzen, die z.b. hier aufgeklärt werden.
Außer Streit steht, dass alle Formen von Menschenhandel und Ausbeutung unabhängig von der sozialen Herkunft der TäterInnen professioneller und vor allem strukturell nachhaltiger bekämpft werden müssen (wozu der vorliegende Gesetzesentwurf allerdings rein gar nichts beiträgt!). Warum muss man das bei Bettlern eigentlich dazusagen, nicht aber z.B. bei organisierten Bankern? Ich stelle hier auch die Frage, mit welchem Recht sich Mittelstandsangehörige, die sich in ihren Berufen erfolgreich organisieren, Menschen, die am unteren Rand der Gesellschaft überleben wollen, das Recht zur Organisation absprechen? Und warum auch sonst kritische Geister bei sozial Benachteiligten „organisiert“ offenbar gleich als „kriminell organisiert“ denken?
Oder noch konkreter, wie es Philipp Sonderegger ausdrückt: „Wessen Komplize bin ich?“ Und weiter: „Das perfide an diesem Vorhaben (der Wiener SPÖ, Anm.) ist, dass eine nachvollziehbarer Empfindung mißbraucht wird, um eine unbillige Maßnahme durchzusetzen. Man muß verwahrloste Menschen nicht unbedingt mögen, aber hier wird die Abneigung gegen Randgruppen instrumentalisiert, um die Privatisierung des öffentlichen Raums voran zu treiben.“
Dagegen wehren wir uns. Und zwar in Form eines Flashmobs am 26. März, dem Tag der Landtagssitzung, ab 9 Uhr vor dem Wiener Rathaus (Eingang Liechtenfelsgasse): Kommt so verwahrlost wie möglich, um gewerbsmäßig (allfällige Einnahmen kommen der „Bettellobby“ zugute) gegen dieses Gesetz und die ethische Verwahrlosung und den Rechtsruck der Wiener SozialdemokratInnen zu betteln!
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@gerold deine fragen werden an den im text verlinkten stellen zu den bettelmythen aufgeklärt
Es scheint, dass ich da falsch verstanden wurde. Was ich an den ausländischen Bettlern nicht richtig finde, ist, dass diese (zumindest wurde mir das so erzählt) von „Schleppern“ nach Österreich gebracht werden, diese dann hier Betteln und dann das Geld an die Schlepper abliefern müssen. Das heißt, dies sind keine echten Bettler sondern arme Leute aus Rumänien oder von wo auch immer und sollen hier als Einnahmequelle für mafiaähnlichen Organisationen dienen. Wenn das nicht so ist und du darüber genauer bescheid weißt und mich darüber aufklärst, ist mir das natürlich recht. Aber professionelles Betteln finde ich nicht in Ordnung.
Betreffend dem Mahnmal: Das klingt natürlich dramatisch, aber letztendlich sind die Bettler so etwas für uns. Ein Mahnmal für unser noch immer fehlerhaftes soziales System. Durch Verbot löst man das Problem nicht bei der Wurzel, sondern verschiebt nur das Problem.
Ist es richtig wenn eine Frau im U-Bahnbereich sehr laut ein Lied in ihrer Sprache singt, an der ich keine echte Armut erkennen kann, sondern nur eine ärmere, aus dem Osten stammende Frau? Für mich eindeutig erkennbar, dass da eine Organisation dahintersteckt, nachdem auf beiden Seiten der U-Bahnstation eine nicht österreichisch, aussehende Frau sitzt. Und wenn man dann bei der nächsten Station aussteigt und da das gleiche erlebt.
Ich fände es besser, wenn wir vor der eigenen Türe kehren -> österreichische Bettler, bevor wir uns um die (organisierte) Armut im Osten kümmern. Dafür ist meiner Meinung nach die EU zuständig.
Ach ja zum Singen. Ich finde es immer wieder nett, wenn es Straßenmusikanten gibt.
Und ich habe nicht gesagt, dass „übliche Bettler“ aus Österreich den Kopf unten halten müssen.
@gerold vielleicht solltest du workshops anbieten, wie sich ausländische bettler verhalten sollen. mahnmalkurse zum beispiel. und singen geht in österreich schon mal gar nicht, aber echt, sondern bitte schön brav den kopf niedrig halten wie „übliche bettler“.
Was mir bei der Debatte fehlt ist die Trennung zwischen den österreichischen Bettlern und den „Importierten“. Diejenigen die in Österreich meist durch Schicksalsschläge Bettler geworden sind, sollen auch weiterhin wie ein Mahnmal für jeden sichtbar sein. Nur durch echte Verhinderung der Armut sollen diese verschwinden und das soll so lange dauern bis durch entsprechende soziale Betreuung der oder die Letzte von der Strasse verschwunden ist. Und nicht durch Verbot. Verboten gehören die ausländischen Bettler die mit Bussen nach Österreich gekarrt werden und sich auch nicht wie übliche Bettler verhalten (bspw. lautes singen in der U-Bahn Station). Es fällt einem teilweise schwer die „echten“ Bettler auseinander zu kennen. Und vermutlich leiden die echten auch darunter.
warum nicht beides, Aufklärung und Aktion?
zur Aufklärung findet am Mittwoch, 24. März um 18:30 im Grünen Rathausklub (Ecksalon) ein StadtexpertInnengespräch zum Thema statt.
Es diskutieren:
Mag.a Marion Thuswald, Bildungswissenschafterin, BettelLobby Wien
Mag. Ferdinand Koller, Theologe, BettelLobby Wien
Mag. Markus Reiter, Verein neunerHAUS
David Ellensohn, Stadtrat und Sozialsprecher der Grünen Wien
Und zur Aktion: „Manches muss man aushalten“, sagt Sibylle Hamann richtig: http://diepresse.com/home/meinung/quergeschrieben/sibyllehamann/546753/index.do
und auch Philipp Sonderegger sinngemäß: http://phsblog.at/ich-bin-penner-was-seid-ihr
Ich schätze dein Engagement in dieser Sache, befürchte jedoch, dass der breiten Bevölkerung die Thematik komplett falsch kommuniziert wird.
Es wird die aufklärerische Methodik ausgelassen, scheinbar, weil sie nicht genug Bobo-Flair hat. Das Ergebnis ist vorprogrammiert: Leute, die sich wenig mit der Thematik beschäftigen & sich beim Durchgang durch die Passage am Karlsplatz unwohl fühlen oder jene, denen das Betrachten offener Wunden & Ergebnisse nichtoptimaler Amputationen nicht behagt fühlen sich von der Aktion verarscht & sind folglich noch weniger zugänglich für faktische Kommunikation.
Warum nicht argumentativ aufräumen & die Verfehlung des Beschlusses ebenso thematisieren? Ein gewisser Grundkonsens kann doch nicht übersehen werden, nur weil die Vorgangsweise gröber falsch ist.