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Megaphon: „Geben und Nehmen“

„Hätten sie vielleicht a paar Cent?“ fragt die junge Frau in Wien mit der auffälligen Frisur. „Host an Schülling für mi?“ formuliert es ein Herr mit fuseldurchtränktem Bart in Graz, dem offenbar die neue Zeit davongelaufen ist.

In Kinshasa deutet ein am ganzen Körper wundgeschürfter Sechsjähriger auf seinen nackten Bauch und klagt „J’ai faim – ich habe Hunger.“ „Amigo, amigo“, versucht mir ein Alter auf Krücken in Salvador da Bahia ein paar freundschaftliche Münzen zu entlocken, während das kleine Mädchen mit den tränenverklebten Augen in Rio de Janeiro wortlos die rechte Hand aufhält.

Ja bin ich denn…? Ja, bin ich. Reich nämlich. Und das sieht man. Ich bin frisch geduscht, habe heute gut geschlafen und danach lange gefrühstückt, kleide mich nach Wetter und Anlass, habe in Wien eine Wohnung im Dachgeschoss und kann mir ohne weiteres eine Bahnfahrt nach Graz und manchmal auch den Flug nach Afrika oder Lateinamerika leisten.

Aber muss ich deswegen…? Nein, muss ich nicht. Ich spende ja auch nicht für Licht ins Dunkel, nicht einmal für Wale und habe auch keine „zwei Minuten Zeit für den Umweltschutz“.

Dennoch tu ich’s manchmal. Geb der Punkerin, dem Obdachlosen oder Straßenkind ein lächerliches bisschen was von dem, was ich grad dabeihab. Warum? Weil ich’s grad dabeihab und sie mich danach fragen, darum. Grund genug.

Ok, es gibt noch ein paar andere, persönlichere Gründe: Weil es mich anrührt. Weil ich’s zum Kotzen finde, so zu tun als hätte ich nichts gehört und starren Blicks davonzueilen. Weil ich im Übrigen auch gern hätte, dass mir wer was gibt wenn ich’s grad brauch, und zwar ohne Angabe von Gründen. Weil man mir offenbar ansieht, dass ich mehr materielle Güter habe als der oder die Fragende. Und weil mich das je nachdem wütend oder traurig macht. Natürlich könnte ich das Problem für den Moment auch so lösen, dass ich so viel hergebe, dass wir beide gleich viel haben. Aber das mute ich mir nicht zu. Und ich maße mir auch nicht an, ein Problem zu lösen. Außer das eine: jemand fragt und ich reagier halt. Und bleibe meist ein bisschen beschämt zurück.

Warum all die Rechtfertigungen? Weil wir jedes Mal, wenn wir mit diesen Fragen konfrontiert sind, beschämt nach Rechtfertigungen suchen. Die sehen dann manchmal so aus: „Die will ja nur nicht arbeiten.“ (Na und? Sei froh, Erwerbsarbeit ist eh Mangelware.) – „Der gibt das ja nur für Bier oder Drogen aus.“ (Na und? Ist er deswegen weniger bedürftig?) – „Das Kind wird ja nur von seinen Eltern zum Betteln geschickt und sollte lieber in die Schule gehen.“ (Und? Was tun wir dagegen, dass Eltern ihre Kinder nicht ernähren und in die Schule schicken können?).

Wir haben Angst vor Armut, weil sie die ungerechte Verteilung von Reichtum zeigt: Armut steht immer im Verhältnis zu Reichtum. Materieller Reichtum kann ohne Armut nicht existieren, auch wenn er sie gerne unsichtbar machen würde.

Diejenigen, die um etwas bitten, egal aus welchen Gründen und egal in welchem Ausmaß sie von Armut betroffen sind, führen uns einen Teil dieser unsichtbaren Realität vor Augen. Jeder, der die Hand aufhält, ist Botschafter des Elends einer Welt, die Armut akzeptiert. Wir sollten diese Botschafter mit allen diplomatischen Ehren empfangen, denn sie haben uns etwas mitzuteilen.

Meistens gebe ich übrigens nichts. Sondern versuche, beschämt und verunsichert, den Fragenden meine Fragen zu stellen. Manchmal, an Tagen des großen Glücks, kommen wir miteinander ins Gespräch. Und rücken so, für diesen glücklichen Moment, ein bisschen zusammen.