Autor: Klaus Werner-Lobo

  • Standard-Gastkommentar: Warum die Grünen streiten

    Im heutigen Standard versuche ich zu erklären, warum Streiten die Basis der Demokratie ist. Und wieso Hans Rauscher mit seiner zuletzt mehrfach erläuterten These, dass „Basisdemokratie das Gegenteil von Demokratie“ ist, unrecht hat.

    Vor einem Jahr veröffentlichte diese Zeitung die alarmierenden Ergebnisse der politischen Langzeitstudie „Die ÖsterreicherInnen – Wertewandel 1990-2008“: Nur jeder zweite Österreicher sei mit der Art, wie die Demokratie hierzulande funktioniert, zufrieden. Vier von zehn meinten, Demokratien seien „entscheidungsschwach“ und produzierten „zu viel Zank und Hader“. Ein Fünftel der Bevölkerung wünschte sich sogar „einen starken Führer, der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss“. Nur 14 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben noch Vertrauen in politische Parteien. Studien-Ko-Autor Christian Friesl, dazu: „Es ist ihre Aufgabe, diesen Wert wieder zu heben.“

    Ist es. Politik- und Demokratieverdrossenheit ist nicht die Schuld „dummer“ Staatsbürger, sondern einer politischen Elite und mancher Medien, die die Leute für dumm verkaufen. Aktuelle Beispiele aus Wien: Schein-Bürgerbeteiligung mit anschließendem Drüberfahren über Anrainerinteressen am Augartenspitz, die Volksbefragung mit suggestiven No-na-Fragen, die Weigerung, den Rechnungshofbericht über die Verschleuderung hunderter Steuermillionen beim Skylink-Debakel zu veröffentlichen, weitere hundert Millionen zur Selbstbeweihräucherung der Stadtregierung – all das trägt zu dem diffusen Gefühl bei: Die da oben machen sowieso, was sie wollen. Und treibt die Menschen antidemokratischen Kräften in die Arme.

    Lautstärke justieren

    Demokratie aber heißt: den Bürger als Souverän respektieren. Ihn mitreden lassen, in Entscheidungsprozesse einbinden, Bürgerinteressen als verbindlich betrachten, sich auf die Finger und in die Akten schauen lassen – also Macht abgeben. Es bedeutet auch: offene und öffentliche Diskurse führen und um Positionen und Haltungen streiten.

    Ja, Demokratie heißt auch streiten. In einer Parteiendemokratie, bei der man als Wähler ohnehin nur alle paar Jahre das Recht hat, sich für ein Gesamtpaket – das „geringste Übel“ – zu entscheiden, muss Demokratie auch innerparteilich gelebt werden.

    Bei den Grünen gilt von der Listenerstellung für Wahlen bis zur thematischen Schwerpunktsetzung deshalb das Prinzip der Basisdemokratie. Mitglieder und teilweise sogar Nichtmitglieder, die die Grünen unterstützen wollen, dürfen mitreden, mitbestimmen und mitstreiten. Gemeinsam streiten sie für eine bedingungslose Achtung von Grund- und Menschenrechten, für Umwelt- und Klimaschutz, für soziale Gerechtigkeit, für Weltoffenheit, Vielfalt und Vielsprachigkeit, für Mitbestimmung und ein gutes Leben – und sie streiten mit Verve gegen Hass, Hetze, Rassismus und Kleingeistigkeit. Manche, in Wirklichkeit erstaunlich wenige, streiten um Posten, Anerkennung und verletzte Eitelkeiten.

    Die stehen dann in der Zeitung. Das ist nur zum Teil die Schuld einer voyeuristischen Mediengesellschaft, die allen Ernstes dem Klima in einem Bezirksparteilokal mehr Bedeutung gibt als politischen Vorschlägen gegen den globalen Klimawandel. Es ist aber auch unsere eigene Schuld, weil zu guter demokratischer Streitkultur ein hohes Maß an Wertschätzung und ein gedämpfteres Maß an Lautstärke gehört. Ich zum Beispiel streite sogar mit meiner Frau, aber sie verlangt zu Recht von mir, dass ich das zu Hause und nicht auf der Straße tue.

    Wenn aber nun eine Zeitung von uns verlangt, „den Fetisch Basisdemokratie endlich zu entrümpeln“, weil „die mächtige Basis mit ihren oft erratischen Wahlentscheidungen politisches Handeln schwierig macht“ und Menschen, die ihre Freizeit in politische Mitgestaltung investieren gar zu „kleinen Stalins“ (Zitat Hans Rauscher) erklärt, dann reizt mich das schon wieder zum Streiten. Weil es mich an jene eingangs erwähnte Wertestudie erinnert, die nach starken Führern auf Kosten der, ja, erratischen und konfliktreichen Demokratie ruft.

    Demokratie hat ihren Preis – auch den, dass man mit Konflikten zurande kommen muss und hin und wieder über die eigenen Ansprüche stolpert. Der Lohn auf breiter Basis getroffener Entscheidungen ist ihre Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit: Während autoritär strukturierte Parteien ihre Grundsätze – egal ob sozialdemokratisch oder christlich-sozial – täglich über Bord werfen, wird man sich bei den Grünen auch dann auf ihre Nichtkorrumpierbarkeit verlassen können, wenn sie sich den Futtertrögen der Macht nähern: weil im Extremfall die vielgeschmähte Basis einschreiten würde.

    Demokratie braucht aber auch die permanente Erneuerung ihrer selbst. Natürlich müssen die Grünen der Parteispitze Durchsetzungsfähigkeit, Schlagfertigkeit und im Falle einer Regierungsbeteiligung auch Kompromissbereitschaft zugestehen, gleichzeitig aber auch die Basis verbreitern, neue Milieus erschließen und möglichst viele Menschen aktiv zur Mitgestaltung ermutigen – auch bei der Listenerstellung. Viel mehr aber sollten wir über die Erneuerung unseres gesamten demokratischen Systems und um die Stärkung partizipativer und plebiszitärer Elemente reden: In Hamburg konnte man kurzzeitig Kandidaten auch unterschiedlicher Parteien direkt wählen. In Salzburg kann die Bevölkerung relativ leicht Volksbegehren und Volksabstimmungen erzwingen. In Porto Alegre, Sevilla sowie in Kölner und Berliner Bezirken bestimmen überhaupt die Bürger selbst, wofür ihre Steuern verwendet werden.

    Es geht um Transparenz, demokratische Bildung und verbindliche Bürgerbeteiligung, und zwar für alle. Denn wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf. Die Grünen streiten vielleicht, aber sie schlafen nicht.

  • Das ist also eure Bettelmafia, SPÖ?

    bildschirmfoto-2010-08-29-um-235434Das organisierte Verbrechen hat ein Gesicht: „Eine attraktive Frau, Anfang vierzig (…) Wenn Martina S. sich in einem wohlhabenden Bezirk von Wien in eine Hausnische drückt, ein Schild und eine Schüssel vor sich aufstellt und eine Stunde lang da sitzt, bis ihre Kreuzschmerzen sich melden, hofft sie jedes Mal, dass niemand sie erkennt. Sie, die Bettlerin.“

    Edith Meinhart erzählt im neuen profil (s.a. Foto rechts) die berührende Geschichte einer Wienerin, in deren Leben so ungefähr alles schiefgelaufen ist. Die nach jahrzehntelanger Traumatisierung psychisch und körperlich schwer angeschlagen nun eine Mindestpension von ein paar hundert Euro bezieht, von der sie zwar überleben, aber nicht leben kann. Die deshalb, verschüchtert und verunsichert, auf ihr Recht pocht, dieses bisschen, das den Unterschied zwischen Überleben und Leben ausmacht, stumm und verschämt zu erbetteln, den Blick auf den Boden gerichtet, in einer Hausnische, eine Stunde am Tag.

    Seit Anfang Juli ist das verboten. Im März hat die regierende Wiener SPÖ – unter dem geifernden Applaus der Rechten und Rechtsextremen – ein umfassendes Verbot „gewerbsmäßigen“ Bettelns durchgesetzt. Was Martina S. macht, was alle, die in Wien betteln, machen, ist ein Verbrechen, für das man bis zu einer Woche ins Gefängnis wandern kann. Die SPÖ will damit, argumentiert sie, eine angebliche Bettelmafia bekämpfen, deren Existenz von niemandem jemals nachgewiesen werden konnte. Die SPÖ hat dafür auch nicht einmal den Versuch einer Recherche unternommen. Wozu auch? In Wahrheit geht es um ein wahltaktisches Manöver, um in rechtspopulistischer Manier Menschen den Anblick von Elend zu ersparen und sich dann auf die Fahnen zu schreiben, dass Wien die lebenswerteste Stadt der Welt sei. Für Manager multinationaler Konzerne, wohlgemerkt.

    Für Martina S. und Hunderte andere bedeutet das: tägliche Angst vor Verfolgung, für viele die Vernichtung ihrer Existenz. profil: „Jede Minute könnte die Polizei um die Ecke biegen. Eine Anzeige hat sie bekommen, zwei wurden ihr angedroht. Mit jedem Mal steigt die Strafe, sie kann auf bis zu 700 Euro hinaufgehen.“

    Martina S. hat sich nun an die Grünen Wien um Hilfe gewandt, die gemeinsam mit der Bettellobby Wien, dem Neunerhaus und der Filmemacherin Ulli Gladik nun den Gang zum Verfassungsgerichtshof antreten und Frau S. auch persönlich kompetent begleiten werden.

    Was mir aber nicht aus dem Kopf geht: Wie kann noch irgendjemand glauben, dass diese SPÖ, die für billige wahltaktische Motive wieder einmal das schmutzige Geschäft der rechten Hetzer betreibt, auf andere Weise als durch eine herbe Watschen bei den nächsten Wahlen zurück zu ihren sozialdemokratischen Wurzeln findet? Könnt ihr euch eigentlich noch in den Spiegel schauen?

  • "Die Demokratie ist die Schlüsselfrage für alle anderen politischen Fragen"

    Ich möchte mehr Demokratie für Wien und dafür ergänzend zur Säule der repräsentativen (Pateien-)Demokratie die beiden Säulen der Partizipativen und der Direkten Demokratie stärken. Dafür werde ich in nächster Zeit konkretere Vorschläge machen, zur Einstimmung sei hier einmal dieser sehr aufschlussreiche Vortrag des deutschen Grünen Europaparlamentariers Gerald Häfner, Mitbegründer der Initiative Mehr Demokratie!, wärmstens empfohlen.

    Häfner, mit dem ich vor eineinhalb Jahren im deutschen Fernsehen über Politikverdrossenheit diskutieren durfte (Videostream), nimmt übrigens im Herbst an einem Demokratiesymposium der Grünen Bildungswerkstatt in Wien teil.

  • Frankfurter Rundschau: "Aus Freude am Subversiven"

    Die Frankfurter Rundschau hat mich für ihre Samstagsausgabe porträtiert:

    Klaus Werner-Lobo
    Aus Freude am Subversiven

    Von Kathrin Hartmann

    Vom Café aus schaut man über eine Piazza, eingerahmt von einem Parkdeck und Ikea. Das ist Europark, Salzburgs größtes Einkaufszentrum, 130 Läden, 300 Millionen Umsatz im Jahr. Klaus Werner-Lobo läuft entschlossenen Schritts über den Platz, der Wind spielt mit seiner Strubbelfrisur, man kann ihn schon von Weitem grinsen sehen. Er stellt seinen Koffer ab, sieht sich um und sagt: „Eh ein passender Rahmen.“

    Werner-Lobo ist Journalist und Autor des Standardwerks der Globalisierungskritik: „Schwarzbuch Markenfirmen. Die Machenschaften der Weltkonzerne“. Das investigativ recherchierte Buch (mit Co-Autor Hans Weiss) belegt, dass der Profit von Konzernen, deren Produkte den Alltag westlicher Konsumenten bestimmen, auf Menschenrechtsverletzung und Umweltzerstörung gründet: Adidas, Aldi, Bayer, Coca Cola, Danone, H&M, Nestlé, Ikea, Shell und andere. Es erschien 2001; kurz zuvor war beim G-8-Gipfel in Genua der Demonstrant Carlo Giuliani von der Polizei erschossen worden. Das Buch, jüngst in sechster Auflage und zum vierten Mal aktualisiert erschienen, wurde mehr als 150.000 Mal verkauft.

    Heute hat der Österreichische Gewerkschaftsbund den 43-Jährigen für einen Auftritt gebucht – im Theater im Einkaufsparadies. Später wird Werner-Lobo einen Schlapphut tragen und eine karierte Hose, die er sich bis fast unter die Achseln zieht: „Ich bin der Klaus. Und wie heißt´s ihr?“, wird er aus dem Lichtkegel fragen und Lacher ernten. Er wird nach einer albernen Tanzeinlage erklären, wie sich Ölkonzerne an den Bodenschätzen Nigerias bereichern, eines reichen Landes, in dem die Menschen in bitterer Armut leben. Und wie die Menschen in einem verzweifelten Kraftakt nach Europa fliehen und weggeschickt werden. „Das ist so, wie wenn ich zu meinem Nachbarn geh´, seinen Kühlschrank leer räume und mit seinem Bier eine Party mache. Und wenn mein Nachbar mitfeiern will, schmeiß´ ich ihn raus.“

    Es ist nichts Wehleidiges in seiner Stimme, sondern Wut. Witz. Leidenschaft. Das Publikum, das er angriffslustig ansieht, weiß nicht recht: Darf man das lustig finden? Manche lachen verhalten. Für Werner-Lobo ein Erfolg: Er will keine Lachsalven, sondern Irritation. Er hat diese Dinge oft in ernsten Vorträgen erzählt. „Das ließ die Leute manchmal mit einem Ohnmachtsgefühl zurück, das ich doch bekämpfen will.“ Der Clown sei Sinnbild des Unperfekten: „Die eigene Lächerlichkeit zeigen baut Distanz ab. Sie sollen denken: Wenn der Trottel das kann, kann ich das auch.“ Darum geht es ihm: „Wer lacht, hat keine Angst. Wer keine Angst hat, ist gefährlich für jene, die mit ihrer enormen Wirtschaftsmacht die Welt beherrschen.“

    Eigentlich, sagt er, hätten ihn Clowns nie interessiert. In Rio, wo er einige Zeit lebte, überzeugte ihn ein Interview mit einem politischen Clown: „Keine Figur verkörpert so sehr das Scheitern. Der glückliche Loser – der ist das Gegenteil unseres gesellschaftlichen Ideals, der widersetzt sich dem Wettbewerb, er ist subversiv.“

    In Rio lernte der Österreicher die Schauspielerei und ließ sich zum Clown ausbilden, unter anderem bei Leo Bassi und Jango Edwards. Die Freude am Subversiven, die Wut auf die Mächtigen ist Werner-Lobos Antrieb. „Ich weiß, dass die Unternehmen Millionen verlieren, wenn ihr Image angekratzt ist. Das macht mir einen Riesenspaß, denen die Profite zu verhageln. Wie einem Kind, das eine Sandburg kaputt haut.“ Kein Konzern, dessen Machenschaften Klaus Werner-Lobo aufdeckte, hat ihn verklagt – aus Angst vor weiterem Imageverlust.

    So irritiert und provoziert er auch im Alltag: Als die Erzdiözese Wien Hinweise zu einer Seligsprechung der österreichischen Kaiserin Zita sammelte, schrieb er den Kirchenmächtigen: Nach dreimaliger Anrufung Zitas habe sein von Verstopfung gequälter zwei Monate alter Sohn einen prächtigen Stuhlgang fabriziert – und erhielt prompt ein Dankesschreiben. Und als im März die SPÖ in Wien das Bettelverbot in der Innenstadt beschloss, organisierte er einen bunten Flashmob aus lauter Bettlern.

    Klaus Werner-Lobos Auffassung von Widerstand und Humor stößt nicht nur auf Begeisterung. Globalisierungskritiker betitelten ihn als „Nestbeschmutzer“, sagt er: „Diese Überzeugung ,Wir sind die Guten – das hat schon sektenartige Züge. Davon lasse ich mich nicht vereinnahmen.“ Neuerdings kandidiert er aber, obwohl parteilos, für die Wiener Grünen. Deren Chefin Maria Vassilakou hatte eine Rede gehalten, nachdem ein Mann in Abschiebehaft gestorben war, eine kompromisslose, antirassistische, systemkritische Rede. „Da standen mir die Tränen in den Augen. Ich dachte, wenn die so was sagt, dann passt da einer wie ich auch dazu.“

    Am Ende der Show verteilt Werner-Lobo Luftschlangen, die Stimmung ist gelöst, das Publikum jubelt. Draußen im Einkaufszentrum spielt eine spanische Folklore-Band. Menschen stehen drumherum, es ist kurz vor Ladenschluss, ihre Gesichter sehen erschöpft aus. Man möchte ihnen gern eine Luftschlange schenken.

  • Die SPÖ Wien ist die Partei der MitläuferInnen

    Wenn am 1. Juli tausende Menschen, denen die widerwärtige Asyl- und Migrationspolitik der österreichischen Bundesregierung stinkt, auf den Heldenplatz gehen, werden auch FunktionärInnen der Wiener SPÖ und ihrer Vorfeldorganisationen bei der Großdemonstration für Asyl und Bleiberecht mitlaufen. Das ist gut so. Denn es können gar nicht genug sein, die Fekter und Co. so lautstark wie möglich „Genug ist genug!“ entgegen brüllen.

    bildschirmfoto-2010-06-25-um-104943Heute allerdings stimmte die Häupl-SPÖ im Wiener Landtag geschlossen GEGEN eine Resolution zum Bleiberecht der Familie Zogaj und anderer Betroffener, „da man das Urteil des Verfassungsgerichtshofes einhalten müsse.“ Also mit der selben feigen, menschenverachtenden Argumentation wie Fekter-Faymann. Das heißt: auch jene Abgeordneten, die an anderer Stelle gerne und oft Lippenbekenntnisse gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus abgeben, stimmten offenbar gegen ihr eigenes Gewissen. Und leisteten damit den Offenbarungseid, dass Parteiräson auch in der Wiener SPÖ vor Menschenrechte geht.

    Fekter kann auf ihre MitläuferInnen zählen. Wenn dann nach der Wiener Wahl 10. Oktober der Häupl-Fekter-Kurs in den Koalitionsvertrag geschrieben wird, werden die Anti-Fekter- und Anti-Strache-DemonstrantInnen immer schon dagegen gewesen sein. Und beim nächsten Mal wieder mitlaufen.

    Als die SPÖ gemeinsam mit ÖVP und FPÖ das widerwärtige Bettelverbot beschloss, meldete sich nur die Sozialistische Jugend öffentlich zu Wort. Alle anderen schwiegen, alle 55 SPÖ-Abgeordneten stimmten zu – obwohl viele von ihnen in privaten Gesprächen nach wie vor betonen, wie sehr dieses unmenschliche Gesetz ihrer inneren Überzeugung widerspräche. Am 1. Juli tritt das Bettelverbot übrigens in Kraft, und jedes einzelne Opfer sollte sich bei jeder/m einzelnen SozialdemokratIn für die Zerstörung seiner/ihrer ohnehin prekären Existenzgrundlage bedanken.

    Genauso beharrlich schweigen auch jene zahlreichen SPÖ-FunktionärInnen, die (meiner Meinung nach zurecht) auf eine politische und moralische Erneuerung der Sozialdemokratie durch Rot-Grün hoffen. Sie beugen sich der, nein, sie exekutieren die von oben ausgegebene Parole: „Wir wollen die Absolute, über was anderes reden wir nicht“. Das mag wahltaktisch klug und der eigenen Parteikarriere nützlich sein, es beweist aber auch, dass eigenständiges öffentliches Denken und Handeln und Zivilcourage bei der SPÖ keinen Platz haben. Erstaunlicherweise halten sich nicht nur ParteikarrieristInnen daran, sondern auch so gut wie alle an der Basis, die ansonsten durchaus von idealistischen Motiven geleitet sind. Warum das so ist hab ich noch nicht durchschaut, aber es hat für mich was sektenartiges. Wer kann mir auch nur eineN Wiener SPÖ-FunktionärIn nennen, der oder die bereit ist, sich öffentlich für Rot-Grün und für einen Neuaufbruch in Wien auszusprechen?

    Egal wohin: Die SPÖ Wien ist die Partei der MitläuferInnen. Und kaum eine/r von ihnen erkennt, wie gefährlich das ist.

    Zum Abschluss empfehle ich diesen Kommentar von Robert Misik – und die Teilnahme an der Großdemo am 1. Juli!

  • Gutes Leben – für alle!

    Die Grüne Bildungswerkstatt hat für das Jahr 2010 einen Schwerpunkt ausgerufen, den ich als politisches Credo auch für die nächsten paar Jahrtausende hundertprozentig unterschreiben kann: Gutes Leben für alle!

    Ich wurde gebeten, den ersten Kommentar dazu zu schreiben. Voilá:

    Frei sein, und zwar von inneren und äußeren Zwängen, das wäre ein gutes Leben! Die Freiheit, zu kommen, zu gehen oder zu bleiben, egal wo, wie und mit wem zu leben, ohne die Freiheit oder Sicherheit anderer zu gefährden. Denn Freiheit braucht auch die Sicherheit, das eigene Leben ohne Bedrohung durch andere oder durch wirtschaftliche oder gesellschaftliche Zwänge gestalten zu können. Sie braucht Solidarität, Geschwisterlichkeit und den Respekt vor Vielfalt und Einzigartigkeit.

    Freiheit bedeutet auch die aktive Überwindung von Grenzen – nicht nur der Grenzen zwischen Ländern oder sozialen Klassen, sondern auch der Grenzen im eigenen Kopf. Der Begrenztheit, die wir uns durch Erziehung, Bequemlichkeit und Ängstlichkeit auferlegen. Letztlich also die Überwindung der Angst schlechthin. Frei ist nur, wer die Angst verliert – auch die Angst vorm Verlieren.

    Liberté, Égalité, Fraternité – die Parole der Französischen Revolution müsste auch heute noch zur  Maxime politischen Handelns erklärt werden, damit ein gutes Leben für alle möglich ist. Und es ist möglich, wenn wir nur wollen: Die Erde bietet nach Schätzung der Vereinten Nationen genügend Ressourcen für 12 Milliarden Menschen – also für fast doppelt so viele, wie derzeit auf ihr leben. Voraussetzung ist allerdings eine nachhaltigere Nutzung und gerechtere Verteilung dieser Reichtümer. Das heißt auch: die demokratische Teilhabe aller am Wohlstand der Welt und an der Gestaltung der Weltgesellschaft. Denn was vor 230 Jahren als nationalstaatlich gedachte, repräsentative Demokratie revolutionär war, muss heute auf globaler und lokaler Ebene weiterentwickelt  und mit partizipativen und direktdemokratischen Entscheidungsstrukturen ergänzt werden.

    Erziehung, Schule, Wirtschaft und politische Institutionen müssen dafür solidarisches Verhalten vorleben und belohnen. Statt Konkurrenz und Ellbogentechnik werden in den Lehrplänen, bei der Vergabe öffentlicher Mittel und in der Gesetzgebung Großzügigkeit, Kreativität, Eigenverantwortung, ökologisches Bewusstsein, Respekt und Mitgefühl gefördert.

    Lebenswichtige Bereiche müssen allen zur Verfügung stehen und werden von den NutzerInnen demokratisch mitgestaltet: Jeder Mensch muss Zugang zu Trinkwasser- und Gesundheitsversorgung, Bildung und Kultur, öffentlichen Räumen und Infrastruktur, Kommunikation, Information und Natur sowie das Recht auf eine Grundsicherung haben, die wiederum durch die Besteuerung hoher Vermögen und Einkommen und des Verbrauchs ökologischer Ressourcen finanziert wird. Als Ziel jeglicher wirtschaftlicher Tätigkeit muss das allgemeine Wohl, und nicht der maximale Gewinn von Einzelnen, definiert werden.

    Dann ist ein gutes Leben für alle möglich. Aber es muss erkämpft und jenen abgerungen werden, die  Freiheit rauben, von Ungleichheit profitieren und zu Geschwisterlichkeit noch nicht bereit sind.

  • Wien wieder Stadt der höchsten Lebensqualität – für Multis und SPÖ

    Wien ist auch 2010 die Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität. Zu diesem Schluss kommt die jährlich durchgeführte Mercer-Studie, für die 221 internationale Metropolen miteinander verglichen wurden. Befragt wurden bei der Studie allerdings nur: im Ausland tätige Geschäftsleute.

    Das ist schön für sie und schön für multinationale Unternehmen, denen die Mercer-Studie bei der Standortbeurteilung helfen will: „Mercer conducts the ranking to help governments and multi-national companies compensate employees fairly when placing them on international assignments (…) As the world economy becomes more globalised, cities beyond the traditional financial centres are emerging as attractive places in which to expand or establish a business.“

    Die politische Vertretung des multinationalen Big Business übernimmt die Wiener SPÖ und ihr Klubobmann Siegi Lindenmayr, der sich für die Ergebnisse des Multi-Rankings generös bei sich selbst bedankt:

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    Dass die Wiener Stadtbevölkerung und MigrantInnen, die nicht für multinationale Konzerne arbeiten, nicht befragt wurden, interessiert die Elitenpartei SPÖ ebensowenig wie die Tatsache, dass Wien im Öko-Cityranking der Multis nur auf Platz 44 liegt.

    Natürlich, für internationale ManagerInnen ist Wien eine der sichersten, saubersten und bestverwalteten Städte der Welt. Es kann ihnen relativ wurscht sein, dass die Treibhausgasemissionen in den letzten Jahren hier um 13,5 Prozent gestiegen (statt wie versprochen um 14% gesunken) sind, dass mehr als 200.000 Menschen in einer der reichsten Städte der Welt armutsgefährdet sind, hier 100.000 Kinder in Armut leben und dass Kinder von MigrantInnen, die nicht für Multis arbeiten, kaum Bildungs- und Aufstiegschancen haben. Und vielleicht ist es einigen von ihnen sogar ganz angenehm, wenn die SPÖ das Stadtbild von BettlerInnen und „Verwahrlosten“ säubert.

    Es wird dringend Zeit, dass sich die Wiener Stadtpolitik auch um jene kümmert, die nicht in Mercer-Studien befragt werden.