Gestern früh wurde ich wieder mal von heftigen Maschinengewehrsalven geweckt. Die Drogenbanden ballern hier oft mit schwerem Gerät, das aus Militärbeständen stammt, von einem Hügel zum anderen. Häufig nur, um ihre Macht zu demonstrieren. Gestern aber war die Polizei am Hügel gegenüber und hat Irapuan David Lopes, genannt Gangan, erschossen.
Der Drogenboss, der von den heutigen Zeitungen als größter Feind Rios bezeichnet wird, beherrschte den Handel in zehn Favelas und belieferte darüber hinaus die zwei größten, Rocinha und Vidigal. Der 34jährige begann mit 14 Jahren zu dealen. Er verdiente mindestens 600.000 Euro im Monat und unterhielt einen Harem von kolportierten 200 Frauen. Als während des Geburtstagsfestes eines seiner Söhne ein Motorrad Lärm erregte, exekutierte er den Fahrer. Wegen eines Missverständnisses mit der Müllabfuhr ließ er ein Verwaltungsgebäude der Stadt mit Maschinengewehren beschießen. Im Mai erschoss er einen 14jährigen, weil ihm danach war. Vor zwei Monaten vierteilte er einen verfeindeten Dealer mit der Motorsäge. Und zu seinem eigenen Geburtstag am 2. November tötete er angeblich regelmäßig jemanden und trank dessen Blut. Steht in der Zeitung.
Gleichzeitig versorgte er bedürftige Familien seiner Favela mit Grundnahrungsmitteln, ließ für gemeinützige Feste Brauerei-LKWs überfallen und verteilte noch am Wochenende Geschenke zum Internationalen Tag des Kindes. Wenn er schwer bewaffnet in den Kampf gegen verfeindete Drogenbanden oder die Polizei zog, sagte er: „Ein Krieger stirbt nicht, er ruht sich aus.“
Seit gestern ruht sich Gangan aus. Er wurde im Bett mit einer blonden Frau von der Polizei überrascht, flüchtete, schoss auf die Polizisten und wurde von mehreren Kugeln getroffen. Im ganzen Viertel blieben seitdem Schulen und Geschäfte geschlossen, weil Gangans Leute Trauer angeordnet haben.
Im britischen Independent erschien vorgestern ein übersichtlicher Artikel über Rio, The city of cocaine and carnage, den die politisch Verantwortlichen entrüstet als einseitig und übertrieben zurückweisen. Sie leben nämlich ganz gut mit dieser Art Public-Private-Partnership: Politische Eliten und Drogenwirtschaft sichern sich gegenseitig die Macht, indem sie durch den Krieg eine Situation der Instabilität aufrecht erhalten.
Während ich diese Zeilen schreibe, schießen sie gegenüber schon wieder. Sie kämpfen um Gangans Nachfolge.