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Falter: „Die Globalisierungsgegner von Qatar“

Die Industrienationen und die multinationalen Konzerne wollen nur jenen Teil der Globalisierung, der ihre Interessen schützt.

Am Wochenende fand im arabischen Scheichtum Qatar die vierte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) statt – dank restriktiver Einreisebestimmungen und Demonstrationsverbot ohne Störaktionen durch „Globalisierungsgegner“. Seit dem Beitritt Chinas besteht die WTO aus 143 Ländern und der Europäischen Union. Ihr Ziel ist der weltweite Abbau von Handelsschranken. Während theoretisch alle Mitglieder das gleiche Stimmrecht haben, werden zahlreiche Beschlüsse von den wirtschaftlich starken Playern im Alleingang ausgehandelt. Ihre Interessen setzen sie mithilfe rigider Handelssanktionen durch – ein Mittel, zu dem ärmeren Ländern schlicht das ökonomische Drohpotenzial fehlt.

Dennoch glaubt WTO-Chef Mike Moore, dass „die Liberalisierung der Wirtschaft dem Wohle der Menschen überall auf der Welt dient“. Als Beleg werden vor allem die Tigerstaaten Südostasiens genannt, wo die Exportorientierung zu einer Vervielfachung der Einkommen geführt habe. In der Tat erlebte die Region einen enormen Boom, als sich dort ausländische Betriebe ansiedelten, die in den Freihandelszonen von der völligen Absenz steuerlicher und sozialer Regeln profitierten. Doch wenn man wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen den menschlichen Wohlstand als die Gesamtheit individueller Freiheiten definiert (und dazu gehören neben der wirtschaftlichen auch soziale und kulturelle Freiheiten), dann endete das südostasiatische Wirtschaftswunder für die meisten Betroffenen in katastrophalen Lebensbedingungen: ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, Repressionen gegen Gewerkschaften, Umweltzerstörung und die Aushöhlung staatlicher und sozialer Strukturen. Wie wenig nachhaltig die Investitionen der multinationalen Konzerne waren, zeigen auch die Folgen der Asienkrise, die 1997 durch internationale Börsenspekulationen ausgelöst wurde: Seither leben dort zusätzlich 90 Millionen Menschen in absoluter Armut.

Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler sagt deswegen, er mache der WTO nur einen Vorwurf: „Dass es sie gibt.“ Und der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber sieht die Globalisierung als „eine Welt der Anarchie, eine Welt ohne Regeln, ohne Gesetz, ohne soziale Übereinkünfte – eine Welt, in der Unternehmen und der ganze private Sektor völlig unreguliert agieren, genauso wie Terroristen, Kriminelle und Drogendealer“.

Dabei könnten Welthandel und globale Arbeitsteiligkeit tatsächlich die Entwicklung ärmerer Regionen fördern. Doch genau das wird konsequent verhindert. So setzen die EU und Nordamerika mit Zöllen auf Nahrungsmittel und Textilien aus den Ländern des Südens sowie hohen Subventionen der eigenen Landwirtschaft auf einen protektionistischen Schutz ihrer Märkte. Allein eine Aufhebung der Zollschranken der reichen Länder brächte den Entwicklungsländern 155 Milliarden Dollar pro Jahr, zitiert die FAZ den WTO-Chef Moore. Zum Vergleich: Derzeit fließen jährlich 43 Milliarden Dollar als Entwicklungshilfe in den Süden. Damit greift auch das Argument, dass die Unterentwicklung etwa der Länder Afrikas auf deren mangelnden Willen zum Freihandel zurückzuführen sei, zu kurz: Immerhin sind von 53 afrikanischen Staaten 42 Mitglieder der WTO.

Die Globalisierung soll offenbar nur dort stattfinden, wo sie westlichen Wirtschaftsinteressen dient. So bekämpften die USA noch vor einem Jahr die Herstellung billiger Medikamente für afrikanische Aids-Kranke, die im Einklang mit den Regeln der Weltgesundheitsorganisation WHO stand. Dafür genehmigen sie sich nun selbst die Produktion günstiger Pharmapräparate gegen Milzbrand. Als die EU die Amerikaner 1997 wegen des Kuba-Embargos verklagte, wiesen die USA den WTO-Schiedsspruch einfach zurück. Hingegen musste Europa heuer die Begünstigung afrikanischer und karibischer Bananenexporteure aufgeben, als der US-Konzern Chiquita mit WTO-Sanktionen drohte.

Die WTO bleibt die einzige internationale Organisation mit effizienten Sanktionsmechanismen, die anderen UNO-Körperschaften wie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), Unicef, dem Internationalen Gerichtshof oder der WHO versagt bleiben. So verletzt Nestlé noch immer den WHO-Kodex gegen unethische Vermarktungsmethoden von Muttermilch-Ersatznahrung, der verhindern soll, dass jedes Jahr 1,5 Millionen Säuglinge sterben, weil sie nicht gestillt werden. Von A wie Adidas bis W wie Walmart profitieren internationale Firmen von schweren Verstößen gegen die ILO-Mindeststandards im Bereich der Arbeitsrechte. Was bleibt, sind unkontrollierbare und unsanktionierbare Absichtserklärungen der Konzerne gegen Kinderarbeit und Umweltzerstörung zur Beruhigung der Konsumenten. Nestlé-Chef Peter Brabeck erklärte vor zwei Wochen in Wien, „dass wir keine Gesetze brauchen, weil es besser ist, wenn sich Unternehmen freiwillig gut verhalten.“ Warum schaffen wir dann nicht gleich das Strafrecht ab?

Solange Konzerne und die mächtigen Interessensvertreter in der Welthandelsorganisation nur jenen winzigen Teil der Globalisierung wollen, der ihren Profiten nützt, sollte man den Begriff „Globalisierungsgegner“ vielleicht neu anwenden: auf jene, die eine Globalisierung sozialer und ökologischer Mindeststandards sowie die Einklagbarkeit der universalen Menschenrechte ablehnen.