Arundathi Roys Aufforderung zum Kampf gegen Imperialismus und Konzernherrschaft reflektiert nur die Wut der ärmeren Länder. Diese Wut ist verständlich, meint Klaus Werner
Zugegeben, mich hat’s auch gerissen, als ich von den Appellen der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy gelesen habe, die am Weltsozialforum fordert, „den Widerstand im Irak nicht nur zu unterstützen, sondern selbst zum Widerstand im Irak zu werden“. Ich kenne so wie die meisten von uns nur die Bilder von diesem Widerstand, die uns über die Medien vermittelt werden: Menschen- und selbstverachtende Attentate, blutige Gräueltaten gegen die Menschlichkeit im Namen des Freiheitskampfes eines Volkes, den man für legitim erachten, dessen Ausdrucksformen man aber auch als uninformierter, in der warmen Stube sitzender Wohlstandsbürger nur verurteilen kann.
Sich diesem Widerstand anschließen? Da werden Bilder wach von plumpem Antiamerikanismus, von jenen Wohlstandsmitbürgern, die vor einem Jahr auf Demonstrationen gegen den Bush-Krieg Bilder von Saddam Hussein hochgehalten haben, die unter dem Mantel des Friedens den Schlächter von Bagdad heroisierten. Nein danke.
Wer Arundhati Roys berührende Texte gelesen hat, auch jene nach dem 11. September, weiß aber, dass sie mit Plumpheit und Kriegsrethorik nichts gemein hat. Dass sie in wohltuender Weise in einer Zeit, in der viele – auch aus Pietät mit den Opfern – zurecht schmähstad waren, differenzierte Zweifel, aber auch die latente Wut von Millionen von vergessenen Opfern artikuliert hat, ohne das Leid der Opfer in New York und dem Rest der Welt gegeneinander aufzurechnen.
„Das Weltsozialforum muss erwägen, dass es sich im Krieg befindet“ brachte Roy ihre Kampfansage in Mumbai auf den Punkt. Starker Tobak. Die Friedenskämpferin wähnt sich – und uns – im Krieg (dazu aufgerufen hat sie übrigens nicht). Ob es die Dichterin wörtlich meint, dass wir den Widerstand dagegen auf den Schlachtfeldern der derzeit prominentesten Krisenregion führen sollen oder ob das als Metapher eines Kampfes gegen ein hegemoniales Empire gemeint ist: Man schluckt jedenfalls. Ein Sprecher von Attac Deutschland distanziert sich, die Einpeitscherin sieht sich selbst zur Klarstellung genötigt, dass selbstverständlich nur gewaltloser Widerstand gemeint sei. Nicht nur Hans Rauscher fühlt sich dennoch bestätigt, dass „die Anzeichen für eine Radikalisierung (…) deutlich“ seien.
Ja, die Anzeichen sind deutlich. In diesem Fall nicht jene des Antisemitismus, den Rau Roys Antiamerikanismus unterstellt. Dafür gibt es – in diesem Fall – keine Hinweise, und Rauscher bemüht sich auch nicht, welche zu belegen. Was die indische Intellektuelle aber artikuliert, ist etwas, dem jeder, der in ärmere Länder reist, auf viel undifferenziertere, beklemmendere Weise begegnet: Die Tatsache, dass die Globalisierung nicht nur eine Fortsetzung ausbeuterischer Kolonialpolitik mit radikaleren Mitteln ist, sondern dass sie auch bewirkt hat, dass ihre Opfer von den globalen Zusammenhängen dieser Ausbeutung wissen, oder schlimmer, eine Ahnung haben. Die Wut wächst, und wenn es nicht gelingt, diese Wut in gewaltlose, machtvolle Proteste zu kanalisieren, wird sie sich in Form von Terror, Kriminalität und letztlich in Form von blutigen, weltweiten Kriegen entladen. Jeden Tag sterben 100.000 Menschen an den Folgen dieser Ausbeutung. Die 380 Reichsten besitzen so viel wie die 2,5 Milliarden Ärmsten der Welt – Letztere haben keinen Zugang zu Trinkwasser, zu Schulen, zu medizinischer Versorgung, zu nichts. Und immer mehr von denen wissen, warum das so ist.
Wenn Arundathi Roy jene, die es sich leisten können, sich in ein Flugzeug zu setzen und in Mumbai für „eine andere Welt“ zu demonstrieren, zum machtvollen Widerstand gegen den Imperialismus auffordert, versucht sie, einen anderen, einen blutigen Krieg zu verhindern. Sie versucht, der Wut über das Elend eine Form zu geben, weil sie, anders als westliche Intellektuelle, nahe dran ist an einer Wut, die sich im globalen Kontext nicht intellektuell artikulieren kann und deshalb zur Destruktivität und Instrumentalisierbarkeit neigt. Indem sie uns, den Wohlstands-GlobalisierungskritikerInnen vor den Latz knallt, dass „eine andere Welt“ mehr braucht als bescheidene Reformen und Lagerromantik, schützt sie uns und sich selbst vor dem unartikulierten Hass, der zahlreiche Kulturen der Verlierer bereits infiziert hat.
Was man der Dichterin in diesem Fall aber vorwerfen muss, ist die Tatsache, dass sie mit ihrer Kritik so reduziert auftritt. Der Irak ist bei weitem nicht das herausragendste Opfer imperialer Ausbeutung. Fast alle afrikanischen Länder, weite Teile Asiens und Lateinamerikas, ein großer Teil der Bevölkerung der USA und zunehmend auch breite Schichten in Europa zählen zu den Verlierern einer globalen Spaltung, die sich selbst radikalisiert, indem sie den sozialen Zusammenhang auflöst. Und auch die Gegner in diesem „Krieg“ sind nicht nur in den USA zu suchen, sondern auch in den neoliberalen Regierungen von Rot-Grün (Deutschland) bis Schwarz-Blau (Österreich), in korrupten Konzernetagen und bei deren korrupten Kollaborateuren in der so genannten Dritten Welt. Zu dieser Differenzierung wäre die indische Vordenkerin und Vorkämpferin fähig, und sie hat sie diesmal explizit vermieden. Der Irak wurde von einem Diktator befreit, das muss man dazusagen, bei aller notwendigen Kritik an der Diktatur des Kapitals.
Das Gegenmodell muss ein gewaltloses sein. Es ist ein Modell, dass sich seit Jahrtausenden bewährt hat und seine Modernisierungsfähigkeit über diese Jahrtausende bewiesen hat, indem es immer wieder den Kampf gegen diejenigen geführt hat, die es zerstören wollten. Es heißt Demokratie. Die Souveränität der Völker ist nur durch Widerstand gegen die neoliberalen Eliten herstellbar. Dieser Widerstand muss gewaltig sein, damit er nicht irgendwann gewalttätig wird.