heute nacht hat mich márcio auf eine macumba mitgenommen – ein ritual der afrobrasilianischen religion candomblé. der candomblé wurde von afrikanischen sklavInnen überliefert und ist zum unterschied von christlich/jüdisch/islamischen traditionen nichtautoritär und diesseitsgewandt – so ist zum beispiel das repressive konzept der sünde unbekannt. ziel ist im wesentlichen, von den orixás, den griechischen göttern vergleichbare mächte, durch rituale die universalenergie axé zu erlangen. axé ist der luftstrom des lebens, ähnlich dem fernöstlichen „chi“, mit dem etwa die traditionelle chinesische medizin oder lehren wie reiki, chi gong etc. arbeiten.
bis acht uhr früh wurden mit tänzen, trommeln, gesängen und afrikanischem essen vor allem der orixá der krankheiten und heilkunst obaluayiê gefeiert, dessen gesicht und körper unter einer maske und kutte aus stroh verborgen ist. frauen in weiß tanzten sich in trance und empfingen den „axé“ von den göttern, um ihn an die umstehenden weiterzugeben. dennoch wäre ich vor erschöpfung fast umgekippt, währenddessen steinalte frauen stundenlang exzessiv abtanzten.
Kategorie: Weltnachrichten
Axé
Unmoralisches Angebot
In Rio tagt gerade eine internationale Aids-Konferenz. Brasilien verfolgt seit Jahren eine aktive Anti-Aids-Politik; mit der kostenlosen Verteilung von Millionen von Kondomen und der ebenfalls kostenlosen Abgabe von Aidsmedikamenten ist es gelungen, die Rate der Neuinfektionen und Erkrankungen dramatisch zu senken. Mit der Drohung, die Patente zu brechen, hat die Regierung den Pharmakonzernen Zugeständnisse zur billigen Abgabe antiretroviraler Medikamente abgerungen.
Die US-Regierung hat Brasilien 40 Millionen Dollar für die Aids-Bekämpfung angeboten – unter der Bedingung, die Prostitution unter Strafe zu stellen. Sexuelle Dienstleistungen unter Erwachsenen sind in Brasilien legal und gesellschaftlich relativ weitgehend akzeptiert. Für die SexarbeiterInnen bedeutet das in erster Linie Schutz vor Diskriminierung und Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Ein Verbot würde diesen Schutz aufheben – und damit die Gewinne der US-Pharmakonzerne in die Höhe schnellen lassen. Brasilien hat das Angebot abgelehnt.
Kriegsrecht in Europa
„There is only one sure way to stop a suicide bomber – destroy his brain instantly, utterly. That means shooting him with devastating power in the head, killing him immediately“, kommentiert Londons Polizeichef John Stevens die Erschiessung des unschuldigen Brasilianers Jean Charles Menezes durch Polizisten. Auch Bürgermeister Ken Livingstone, ein erklärter Gegner des Irakkrieges, rechtfertigt die „Shoot-to-kill-policy“ im Kampf gegen den Terror.
Schließlich hätten die Polizisten nicht wissen können, ob der für die Jahreszeit zu warm gekleidete Mann nicht einen Bombengürtel getragen habe, gibt auch Österreichs Ex-Innenminister Caspar Einem die „Berufssituation von Polizisten“ zu bedenken. Kann man ja nie wissen, oder? In den Online-Leserforen wird bereits argumentiert, dass sich der Brasilianer halt rascher ans britische Wetter anpassen hätte sollen.
Wer seinen mangelnden Integrationswillen in die europäische Gesellschaft durch zu warme Kleidung, nicht sofortiges Reagieren auf Zurufe von Polizisten und womöglich noch dünklere Hautfarbe unter Beweis stellt, muss also künftig damit rechnen, als potenzieller Selbstmordattentäter eine ins Hirn geblasen zu kriegen. Instantly, utterly, with devastating power, yeah!
Rios Gays und SympathisantInnen feiern
Heute war Parade der Schwulen, Lesben und Transgenderleute. Die Forderungen sind die selben wie in anderen Ländern: Gegen Diskriminierung, für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Rio ist Anziehungs- und Fluchtpunkt für Homo- und Transsexuelle aus ganz Brasilien und verfügt über eine gute queere Infrastruktur. Davon profitiert allerdings in erster Linie die Mittelschicht – arm und schwul oder vor allem transsexuell zu leben und zu lieben bedeutet immer noch verstärkte gesellschaftliche Ächtung.Von dieser zeugen auch die Bezeichungen „bicha“ (Tier) und „viado“ (Vieh) – und vom gestiegenen Selbstbewusstsein der Schwulen die Tatsache, dass sie diese Bezeichnungen mittlerweile selbst verwenden. Dieses Selbstbewusstsein wurde auch bei der heutigen Parade lautstark und fröhlich zur Schau gestellt.
Was mir zu China einfällt…
haben mich die Salzburger Nachrichten gefragt und dazu heute ein ganzseitiges Interview abgedruckt: „Dieser Teufelskreis ist nicht schicksalhaft, sondern gewollt“
Bei der Gelegenheit konnte ich auch meine Forderung nach einer Süderweiterung der EU bis ans Kap der guten Hoffnung bzw. Norderweiterung der Afrikanischen Union bis Skandinavien im Jahr 2020 zur Sprache bringen.
Grosse Grössen
Das sympathische und auch politisch engagierte, auf Südamerika spezialisierte Reisebüro Viventura liefert in seinem Weblog immer wieder Infos, die man sonst nirgends zu lesen kriegt, zum Beispiel diese:
Ab kommendem südamerikanischen Frühjahr werden Kleidergeschäfte in der Provinz Buenos Aires per Gesetz dazu verpflichtet auch eine Auswahl an großen Kleidergrößen anzubieten. Dieses „Gesetz der Größen“ gilt bisher nur für die Bekleidung Jugendlicher und soll dazu beitragen Essstörungen und den übermäßigen Schlankheitswahn zu bekämpfen. Geschäften die sich nicht an die Vorschriften halten drohen Geldstrafen oder sogar die Schließung.
Nie wieder Kapitalismus
„Alle, die heute mitmachen, werden dereinst auch wieder mitmachen, wenn es heißen wird: »Nie wieder!«“ schreibt Robert Menasse in einem lesenswerten Beitrag für die Zeit über die scheinbare Unantastbarkeit des Kapitalismus:
„Stellt euch vor, Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts hätten selbst Antifaschisten gesagt: ›Der Faschismus ist unaufhaltsam, die Entwicklung geht mächtig und eindeutig in diese Richtung. Unsere Aufgabe ist es daher, diese Entwicklung mitzutragen und uns für diese Zukunft fit zu machen!‹ – würden wir heute diesen Pragmatismus (der doch zweifellos Recht hatte) bewundern oder nicht vielmehr diese Willfährigkeit verachten?“
Anders gesagt: Wer heute nicht gegen den Kapitalismus und seine Proponenten in Regierungen und Konzernen auftritt, die uns den Massenmord an täglich rund 100.000 Menschen infolge von Hunger und Armut als Sachzwang verkaufen, wird sich einst fragen lassen müssen, warum er oder sie mitgemacht hat.
Arschtritte
Berlusconi tritt formell, Ecuadors Präsident Lucio Gutierrez nach Massenprotesten tatsächlich zurück. Papa Bento, wie er auf Portugiesisch heißt (klingt wie Trinkschokolade) tritt dankenswerter Weise dazu an, die Restkatholen ratziputz aus der Kirche zu verjagen. Und ein österreichischer Bundesrat tritt wieder einmal in die Nazischeiße (Wehrmachtsdeserteure seien „Kameradenmörder“ und nach 1945 habe eine „brutale Naziverfolgung“ stattgefunden), aber er und seine Erziehungsberechtigten dürfen im Amt bleiben.
Gefährliche Orte
Wenn hier über Gewalteskalationen in Rio berichtet wird erhalte ich manchmal besorgte Anfragen aus Österreich, wie man denn an so einem gefährlichen Ort leben könne.
In den vergangenen Tagen wurden in Österreich an drei verschiedenen Orten vier Menschen von jeweils mehreren bewaffneten Skinheads zum Teil krankenhausreif geschlagen. Eines der Opfer war ein Freund von mir, der Menschenrechtsaktivist Di-Tutu Bukasa. Gemeinsam ist allen vier, dass sie schwarz sind.
Polizisten ermorden 30 Unschuldige
Im Norden Rios haben Polizisten am Donnerstag innerhalb einer Stunde 30 Menschen wahllos erschossen, weil sie sich dafür rächen wollten, dass acht ihrer Kollegen verhaftet worden sind. Sie sind in Bars reingegangen und haben gezielt alle Anwesenden per Kopfschuss ermordet, darunter fünf Jugendliche, die in einer Bar Videospiele gespielt haben. Der Jüngste war 13 Jahre alt.
Präsident Lula hat eine Woche Staatstrauer ausgerufen. Wegen dem Pabst.