Autor: Klaus Werner-Lobo

  • Mein erster Schultag

    seit montag steh ich fast jeden tag um 7 auf und geh in die schule. im unterricht hüpfen und tanzen wir, schneiden grimassen, schärfen die sinne und sagen zungenbrecher auf. das macht riesenspaß, aber man muss sich sehr konzentrieren und aufpassen dass man nicht lacht, weil es eine schauspielschule ist. die lehrer reden viel über liebe, wahrheit und aufmerksamkeit, und über die zerstörerische kraft von wettbewerb, konsum und konkurrenzdenken.

    almir telles, mein professor für interpretation, sieht aus wie bruno ganz und ist tabulos ehrlich. alle paar minuten schneien ex-studierende vorbei, um ihn freudig zu begrüßen.

    mir ist in brasilien schon öfter aufgefallen, dass schülerInnen und studierende ein extrem gutes verhältnis zu ihren lehrenden haben. ich glaub ich versteh jetzt warum: die machen das richtig gerne, was sie machen, und sie verlangen von uns nicht mehr und nicht weniger als dass wir auch das machen, was wir richtig gerne machen, und dafür hundert prozent geben.

    ich steh gern auf um 7. auch das ist eine premiere.

  • poema

    zum internationalen tag der frau: mein erstes gedicht auf portugiesisch

    sem orgulho
    sem nação
    sem posses
    sem definição
    sempre
    cem por
    centos
    simplesmente um
    sincero
    ser humano

  • Amores

    „Os meus amores de um instante valem por amores de um século“ (Apollinaire)

  • Warum ich im Moment keine Emails beantworte

    Ueber der Strasse vor meinem Haus spinnt sich ein Netz aus Kabeln: Strom-, Telefon- und die Signalleitung der Strassenbahn sind unuebersichtlich ineinander verquirlt. Da ist es leicht, den Ueberblick zu verlieren.

    Seit einigen Tagen telefoniert wer anderer auf meiner Leitung. Oder niemand. Ich jedenfalls nicht. Irgendein Techniker der brasilianischen Telefongesellschaft Telemar hat den Ueberblick im Kabelsalat verloren, und seitdem ist mein Telefon tot – und ebenso mein Internetzugang. Bloed, dass ich gerade jetzt dringend fuer ein Buchprojekt recherchieren muesste.

    Mich wegen sowas zu stressen hab ich mir inzwischen abgewoehnt. Was mich aber wahnsinnig macht, ist die Macht, die so ein Telefonkonzern ueber meinen Alltag hat. Die lähmende Macht der Matrix. Zuerst ist die Hotline einen halben Tag besetzt. Dann kommuniziere ich zehn Minuten lang mit einer Maschine („wenn Sie ein Problem haben druecken Sie die 2, wenn Sie diese Frage noch einmal hoeren wollen druecken Sie die 3, wenn Sie nicht mehr koennen legen Sie einfach auf“). Dann befiehlt mir die automatische Stimme, von morgen 9h58 bis uebermorgen 9h58 zu Hause zu bleiben und auf den Techniker zu warten („wenn Sie wollen, dass der Techniker erst in drei Monaten kommt, bitte schoen, dann druecken Sie halt die 4“). Gegen Ende der brav zu Hause verbrachten Zeit (endlich wieder mal Buecher lesen, endlich wieder mal selber kochen!) kommt der Techniker, steht ratlos vor dem Kabelsalat, kratzt sich am Kopf und sagt, das koenne nur der loesen, der das da verbrochen hat. Der wuerde in einer Stunde kommen. Einen halben Tag spaeter krieg ich einen Anruf von der Telemar dass jetzt der Techniker kommt. Am nächsten Vormittag kommt tatsaechlich ein Techniker, steht ratlos vor dem Kabelsalat, kratzt sich am Kopf und sagt, das koenne nur der Supervisor loesen. Der wuerde vermutlich noch heute abend kommen. Das war gestern. Heute hab ich bei der Telemar mittels der Tastenkombination 3-3-4-7-1-3-5 („wenn Sie eine Frage haben, die nichts mit Ihrem Problem zu tun hat“) erstmals eine menschliche Stimme erreicht.

    Ich bin grundsaetzlich dagegen, die Sklavinnen von Grosskonzernen zu beschimpfen. Aber manchmal kann ich nicht anders. Abgesehen davon, dass die Telefonsklavinnen wahrscheinlich eh Party haben, wenn ich auf Portugiesisch loslege. Ich sag dann Dinge wie „Und richten Sie dem gefickten Hurensohn von Geschaeftsfuehrer aus, dass ich ihm demnaechst in seinen Swimmingpool pisse“ oder „Die Scheissaktionaere der Telemar sollen mal sehen wie es ist bei Regen den Bus zu versaeumen“. Aber hallo! Nicht mit mir! Die nehmen das übrigens auf Tonband auf, bei der Telemar („wir weisen Sie darauf hin, dass wir Ihren Anruf aus Sicherheitsgründen aufnehmen“). Ich hätt davon gern ein Best of.

    Inzwischen warte ich auf den technischen Supervisor und bitte um Verstaendnis, dass ich im Moment keine Emails beantworte.

  • Here to stay!

    Das Filmfestival Diagonale hat heuer ein ambitioniertes Projekt gestartet: Unter www.dia-log.at wagt ein Team unter der Leitung von Araba Johnston-Arthur und Andrea Pollach die Auseinandersetzung mit antirassistischer Filmtheorie und -praxis.

    Dort durfte ich endlich mal sagen was mich vom „Schwarzafrikaner“ unterscheidet.

  • Geheime Clownrebellenarmee

    Subversion mit roter Nase: In England sorgt eine Clownguerrilla für Verwirrung im System. Mit dem Aufruf „Run away from the Circus – join the Circa“ ruft die Clandestine Insurgent Clown Rebel Army (Circa) zur Rebellion gegen das kapitalistische Herrschaftssystem auf.

    Die erste Aktion konzentrierte sich 2003 auf einen Staatsbesuch des US-Präsidenten, als die Rebellentruppe dazu aufruf, George Bush durch einen „echten“ Clown zu ersetzen. Seit Oktober veranstaltet die Tarnorganisation CRAP (Capitalism Represents Acceptable Policy) den „Jährlichen Marsch für den Kapitalismus“ durch Londons Innenstadt. Mit Slogans wie „Tax the poor“, „Bombs not Bread“, „War is good for the economy“, „Climate change? Bring it on“ und „Free Trade not Fair Trade!“ ermutigten sie KundInnen von Starbucks und Pizza Hut zum Konsum, wurden aber danach von Clowns mit Spießen und schlechten Witzen attackiert.

    Mittlerweile gelten die Clownrebellen in England als echtes Sicherheitsrisiko – „Because nothing undermines authority like holding it up to ridicule“. Die Polizei ist hilflos, weil sie sich bei (bereits stattgefundenen) Verhaftungen der Lächerlichkeit preisgibt. Und es wird weiter rekrutiert. Das Basic Rebel Clown Training umfasst fünf Phasen:

    * Finding the Inner Clown
    * Subversive Play
    * Civil Disobedience and Direct Action
    * Bouffon Manoeuvres
    * Marching and Drilling

    „Clowns reden immer von derselben Sache: Sie reden von Hunger. Hunger nach Essen, Hunger nach Sex, aber auch Hunger nach Würde, nach Identität, nach Macht. Letztendlich stellen sie die Frage wer befiehlt und wer protestiert.“ (Dario Fo)

  • Weltsozialforum 2

    Jetzt ist es tatsaechlich aus, und ich hab wieder mal fast nix mitgekriegt. Die Hitze ist moerderisch, aerger noch als in Rio. Es waren mehr Leute als 2003, und gewiss sind tausende Initiativen betreffs Weltverbesserung entstanden. Das ist gut so, nur hab ich wieder mal fast nix mitgekriegt, weil einfach alles viel zu schnell geht. José Saramago hat den Vorschlag fuer ein permanentes Weltsozialforum gemacht. Ob das das Gefuehl mindern wuerde, dauernd was zu versaeumen?

    Gestern wurde Venezuelas Praesident Hugo Chávez frenetisch umjubelt. Nach der Enttaeuschung ueber die mangelnde Radikalitaet Lulas ist er der Star der lateinamerikanischen Linken, und er gefaellt sich in dieser Rolle. Der Mann ist allerdings tatsaechlich gut, macht unzaehlige pragmatische Vorschlaege (etwa fuer einen lateinamerikanischen Fernsehkanal als Gegengewicht zu den Konzernmedien) und hat ein gutes Gespuer fuer Zusammenhaenge. Und sein Auftreten ist wesentlich weniger machohaft als noch vor zwei Jahren.

    Chávez hat es allerdings auch leichter als Lula: Die venezolanischen Erdoelreserven, von denen auch die USA abhaengen, geben ihm einen Handlungsspielraum, den er geschickt ausnuetzt, um soziale Fragen wie Landreform, Alphabetisierung und Gesundheitsversorgung voranzutreiben.

  • Weltsozialforum

    Das Schlimme an solchen Veranstaltungen ist meistens, dass sie schon wieder zu Ende sind, wenn ich grade bemerkt habe dass sie begonnen haben. Viel zu viele Leute, viel zu viel Vielfalt, viel zu wenig Zeit.

    Rund 200.000 Menschen demonstrieren und diskutieren hier in Porto Alegre fuer (Freiheit, Vielfalt, Gleichberechtigung, Solidaritaet) und gegen (Imperialismus, Sexismus, Rassismus, Ausbeutung, Privatisierung) alles andereweltmoegliche. Auch Praesident Lula schneit vorbei, vor zwei Jahren wurde er hier noch umjubelt. Heute reagieren die ForumsteilnehmerInnen kuehl bis ablehnend. Sie werfen ihm vor, seine Ideale den neoliberalen Sachzwaengen untergeordnet zu haben.

    Vielleicht muss man das, wenn man „an der Macht“ ist. Vielleicht waere es besser, dafuer zu kaempfen, dass niemand an der Macht ist. Veranstaltungen wie das Weltsozialforum sollen es ja ermoeglichen, dass sich jeder und jede selbst repraesentieren kann. Das gelingt nur teilweise. Auf den Diskussionspodien sprechen grossteils weisse Maenner des gutgebildeten Mittelstandes darueber, wie man Armut und Elend bekaempfen soll. Arme und Elende sprechen dort nicht, Frauen und Marginalisierte sind unterrepraesentiert.

    Eine Freundin aus Rio, die in der Favela lebt, sagte gestern zu mir, frustriert: „Ich komm mir so dumm vor, weil hier so viele gescheite Leute so gescheite Sachen sagen. Aber wenn diese Leute dann vom Kampf reden moechte ich aufstehen und sie fragen, ob sie wissen was kaempfen heisst. Ich wuerde sie gerne fragen, warum sie uns nicht zuhoeren, wir wissen naemlich was kaempfen heisst, wir kaempfen jeden Tag ums Ueberleben.“

  • Es wird wieder studiert

    clows wird clown habe ich vor einigen wochen versprochen – und jetzt werd ich auch noch schauspieler. hab heute meinen zweiten clownkurs abgeschlossen und mich kurzerhand für ein vollstudium in einer schauspielschule immatrikuliert. ab märz bin ich dann student und in drei jahren diplomclows.