Datum: Was ich lese und was nicht
Mein Lieblings-Monatsmagazin Datum hat mich eingeladen zu bekennen, was ich alles (nicht) lese. Die Gelegenheit habe ich genützt, um gleich einmal ein persönliches Problem loszuwerden: Die Sache mit den E-Mails.
Was ich lese:
Die Frage bohrt in einer Wunde … zu rauchen aufhören, Sport machen, endlich wieder „was Richtiges“ lesen! Auf der Suche nach einer Antwort gehe ich ins Schlafzimmer. Dort liegt „Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft“, ein wunderbares Buch über die Liebe, in dem Patti Smith von ihrer Beziehung zu Robert Mapplethorpe erzählt. Dimitré Dinevs Fluchtgeschichte „Ein Licht über dem Kopf“ (lieber nenne ich es Heimatroman, also die Suche nach einer Heimat für Mehrheimische). George Lakoffs „Auf leisen Sohlen ins Gehirn“, das die Metapher als Schleichweg des politischen Handelns erklärt. Und Sabine Bodes „Die vergessene Generation“, das das in vielen Familien tabuisierte Verhältnis zur Nazi-Vergangenheit anspricht. „Auch die Kinder und Enkel der Kriegskinder wollen nun verstehen, warum ihre Eltern sind, wie sie sind“, heißt es im Klappentext. Ob das was mit mir zu tun hat? Ich weiß es nicht. Ich habe dieses Buch, wie alle anderen auf meinem Nachttisch, nur angefangen und – noch! – nicht fertig gelesen. Den längsten Text, den ich seit dem Wiener Wahlkampf bewältigt habe, habe ich in der Badewanne liegend auf dem iPhone im Internet gelesen: das vieldiskutierte (und meiner Meinung nach überschätzte) Revoluzzerpamphlet Der kommende Aufstand (anarchistische Essayistik hat Oscar Wilde bereits vor 120 Jahren viel schöner hingekriegt: mit dem wunderbaren Text Der Sozialismus und die Seele des Menschen). Auf bedrucktem Papier habe ich mir seitdem nur den Kunst- und Kulturbericht der Stadt Wien in all seiner epischen Breite reingezogen. Wer muss, der muss.
Ich lese zurzeit nicht, ich überfliege. Das heißt: Ich krieg die Buchstabenfülle, die tagein tagaus wie ein Heuschreckenschwarm über mich hereinbricht, nicht mehr auf den Boden, sondern versuche regelrecht, sie bereits im Anflug zu erledigen. Literatur lese ich an, Sachbücher quer, Zeitungsartikel meist online und vor allem dann, wenn mir eine Empfehlung per Twitter, also auf maximal 140 Zeichen, zugezwitschert wurde. Ich fliege zwar sinnerfassend, weiß aber natürlich, dass die Vogelperspektive nur wenig Tiefenschärfe bietet.
Deshalb habe ich mir im letzten Urlaub eine Hängematte gekauft. Mit der werde ich im nächsten Urlaub knapp über dem Boden schweben und wieder richtige Bücher lesen, in richtige Geschichten eintauchen. Von der ersten bis zur letzten Seite. Und Rauchen aufhören, Sport machen…
Was ich nicht lese:
Ab sofort nehme davon Abstand, das Internet zu Ende lesen zu wollen. Ich erkläre hiermit eidesstattlich, jeden dahingehenden Versuch mit Offlineaktivitäten von nicht unter zwei Stunden freiwillig selbst zu ahnden. Außerdem will ich ab sofort keine E-Mails mehr lesen, die nicht in den ersten, sagen wir mal, zwei Zeilen auf den Punkt kommen. Ich weiß nicht, wie es andere PolitikerInnen halten, aber ich lese meine E-Mails selbst und habe mich bisher bemüht, alle selbst zu beantworten. Nur: Wenn ich das weiter so halte, hab ich keine Zeit mehr, Politik zu machen. Es sind viele Mails, und viele sind zu lang. Und es bricht mir das Herz, seitenlange, mit Herzblut formulierte Anliegen nur überfliegen zu können, die ich in vielen Fällen bestenfalls mit „Jo, eh“ oder ehrlicherweise mit „Leider überschätzen Sie die zeitlichen bzw. finanziellen Ressourcen meiner Person/meiner Partei/der Magistratsabteilung 7/der Stadt Wien etc.“ beantworten müsste. Schreiben Sie PolitikerInnen einfach kurz und ohne Umschweife, was Sie wollen, und ich verrate hier ohne Rücksprache, aber im Namen der werten KollegInnenschaft, dass zwar manches unbeantwortet, aber kaum eine klare Botschaft ungelesen bleibt und so in der einen oder anderen Weise unsere Befindlichkeit und damit unser Handeln beeinflusst.
Apropos Befindlichkeit: Die Krone lese ich so gut wie nie. Es heißt immer, PolitikerInnen und politikinteressierte Menschen müssten die Krone lesen, um zu wissen, was „der kleine Mann“ denkt. Das ist Blödsinn, da kann ich mir gleich die Kugel geben. In der Krone steht allenfalls was sehr kleine Leute rauskotzen. Und wer das zu oft liest, fängt irgendwann unweigerlich zu stinken an. Wer wissen will, was Menschen denken, muss Fragen stellen. Wer wissen will, was viele Menschen denken, muss viele Fragen stellen – und nachfragen. So lange nachfragen, bis die wahren Bedürfnisse (ein Pleonasmus: Bedürfnisse sind immer wahr!) sichtbar werden – also im Bedarfsfall auch erst mal abkotzen lassen. Wer Politik machen, also Zusammenleben organisieren will, muss eine Verbindung von der eigenen Haltung zu diesen individuellen Bedürfnissen und zu denen einer Gesellschaft herstellen und sichtbar machen.
Aus ähnlichen Gründen lese ich auch keine Online-Leserforen, in denen anonym abgekotzt wird. Wenn ich Bedürfnisse erkennen will, muss ich die Person dahinter erkennen und wahrnehmen können. Anders gesagt: Ich lese nur was Augen hat.
Datum: Was ich lese und was nicht Read More »