Kategorie: Weltnachrichten

  • Kinder des Drogenkrieges

    Der brasilianische Rapper MV Bill und sein Produzent Celso Athayde haben neun Jahre lang 17 junge Drogenhändler in verschiedenen Favelas des Landes begleitet, deren Alltag für eine Doku gefilmt und das sensationelle Buch „Falcão – Meninos do Tráfico“ (Falke – Kinder des Drogenhandels) verfasst. Von den 17 Jungs sind 16 bereits tot, erschossen von der Polizei oder von verfeindeten Drogenbanden. Keiner von ihnen hat das 18. Lebensjahr erreicht. Der einzige Überlebende träumt nun davon, Zirkusclown zu werden.

    Der Drogenkrieg ist Alltag für die Millionen BrasilianerInnen, die in den Armensiedlungen der Städte wohnen; die Bandenmitglieder sind größtenteils Jugendliche ohne Ausbildung und Perspektive, die Todesopfer fast alle unter 24 Jahre alt. Auch „meine“ Favela, 150 Meter gegenüber meiner Wohnungstüre, erschüttert nachts oft unter Maschinengewehrsalven. In solchen Momenten bin ich froh, dass mein Schlafzimmer auf der abgewandten Seite der Wohnung liegt – im letzten Juli hat einmal eine Kugel die Fensterscheibe meiner damaligen Wohnung durchschlagen und landete auf dem Bett meines Mitbewohners. Zum Glück war er nicht zuhause.

    Diese Woche war anlässlich der Doku eine Podiumsdiskussion mit einem ehemaligen Trafikanten („traficante“ heißt auf Portugiesisch Dealer), der durch eine Polizeikugel queschnittsgelähmt ist, dem Soziologieprofessor Luiz Eduardo Soares und der Chefin des Drogendezernats der Zivilpolizei, Marina Maggessi, die ich vor zwei Jahren schon mal in einem Artikel über Rios Drogenkrieg zitiert habe. Maggessi hat in ihrer Laufbahn die größten Drogenbosse und hunderte kleine Dealer zu Fall oder hinter Gitter gebracht. Heute sagt sie: „Genützt hat das gar nichts. Im Gegenteil: Das Gefängnis ist eine Monsterfabrik. Und für jeden getöteten Dealer kommen zwei nach. Das Problem ist die soziale Ausgrenzung, der Mangel an Wahrnehmung durch die Gesellschaft, der fehlende Dialog.“ Sie zitiert das Beispiel Porto Alegre, wo durch Partizipationsprozesse, an denen auch Polizei und FavelabewohnerInnen beteiligt waren, die Anzahl der Morde um 40 Prozent reduziert werden konnte. „Ich habe gelernt, mit der Pistole umzugehen, aber heute ist meine stärkste Waffe das Wort.“

    Angesichts der Tatsache, dass allein in Rios größter Favela pro Woche drei Millionen Euro Gewinn mit dem Verkauf von Kokain und Marihuana gemacht werden, wird es allerdings mehr als Worte brauchen. Zu viele – Händler, korrupte Polizisten und Politiker – verdienen an der Tatsache, dass der Verkauf und Konsum von Drogen kriminalisiert und in damit in die Schattenwirtschaft gedrängt wird.

  • We have orders to kill you

    Ein Afrikaner, der mit einer Österreicherin verheiratet ist und mit ihr zwei Kinder hat, sollte dieser Tage per Flugzeug nach Gambia abgeschoben werden. Nachdem sich ein couragierter Pilot jedoch weigerte, den Mann gegen seinen Willen mitzunehmen, wurde dieser von Polizeibeamten in eine Lagerhalle verbracht, krankenhausreif geprügelt und mehrfach mit der Ermordung bedroht (unbedingt lesenswert: das Vernehmungsprotokoll).

    Amnesty-Chef Heinz Patzelt nennt das eine „Bestrafungsaktion, wie man sie eigentlich nur aus südamerikanischen Staaten kennt“. Es stimmt, dass solche Übergriffe z.B. hier in Brasilien fast an der Tagesordnung sind. Das führt dazu, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung darüber bewusst ist, dass die Staatsgewalt eine Bedrohung und nicht der Freund von Demokratie und Grundrechten ist. In Europa glauben viele noch an das Christkind.

  • Katholischer Bischof im Kreuzzug gegen Clown

    Nach dem Mordversuch und mehreren Moddrohungen gegen den Anarchoclown Leo Bassi durch christliche Fundamentalisten legt die katholische Kirche Spaniens nun ein Schäuferl nach: In seiner Sonntagspredigt wütete der Erzbischof von Toledo, Antonio Cañizares, gegen den Künstler und bezeichnete dessen Aufführung „La Revelación“ als „wahrhafte Beleidigung der Kirche“ und „Attentat gegen die Religionsfreiheit“. Leo Bassi verteidigt in seinem Stück allerdings die Freiheit des Denkens und der Rationalität gegen die Macht der Kirchen, Sekten und Obskurantisten. Diese Macht demonstriete sich in Toledo erneut: Der Bürgermeister entzog dem Theaterfestival, in dessen Rahmen Bassi auftreten sollte, umgehend alle Subventionen.

    In seiner heiligen Messe ermutigte der Erzbischof seine Schäfchen indessen zum Kreuzzug gegen den Clown: ohne den Respekt gegenüber dem „was uns am Heiligsten ist gibt es keinen Frieden“, sagte der Gottesmann.

  • Im Namen Gottes

    In Madrid fuehrt seit einigen Wochen der Anarchoclown Leo Bassi sein kirchenkritisches Stueck „La Revelación“ (Die Offenbarung) auf. Er nimmt darin die Kirche, Sekten und obskurantistische Gruppen aufs Korn, indem er sich zum Beispiel als Papst Benedikt verkleidet für die Millionen Aidstoten entschuldigt, die die Kirche durch ihr Kondomverbot provoziert. Christliche Gruppen organisierten daraufhin mit Unterstützung der Amtskirche Demonstrationen um das Stueck verbieten zu lassen und reichten gerichtliche Klagen wegen Blasphemie ein. Nicht nur das: Bassi wird seit Wochen mit Morddrohungen überhäuft.

    Gestern legte einer der Terrorchristen eine Brandbombe in der Garderobe des Madrider Theaters Alfil und riskierte damit den Tod von über 200 Menschen. Der Zünder der Bombe konnte in letzter Minute gelöscht werden. Auf www.leobassi.com finden spanische StaatsbuergerInnen ein Formular, das beim Kirchenaustritt hilft. In Österreich kann man das hier machen, Infos für den deutschen Sprachraum gibt es hier.

  • und argentinien erst!

    von montevideo fuhren wir autostop an einen relativ ueberfluessigen ort am meer. ich frug den freundlichen chauffeur, warum die uruguayos denn die argentinier nicht moegen. „gibts irgendwen, der die argentinier mag?“ frug der. ja!!! ich!!! die argentinier sind super! die haben eine superhauptstadt mit tollen cafés und tollen friedhoefen, und sie haben hier oben im norden gruene und hellbraune landstriche auf ueber dreitausendmeter hoehe mit lamas und pferden drauf und indios die diese so pfleglich hueten dass es in bolivien (wo ich noch nie war aber hinwill) nicht idyllischer sein koennte. und schnee auf den bergen. echten schnee! que saudades!!!

  • uruguay rulez ok

    wir brasilianer blicken ja gerne auf die uruguayos herab, vermutlich weil das land so klein und arm ist und irgendwannmal uns gehoert hat. in wahrheit ist uruguay aber super und die uruguayos total nett zu uns brasilianern. abgesehen von jeder menge gegend rundherum koennen sich der uruguayaner und die uruguayanerin mitsamt ihren gaesten einer sehr gemuetlichen hauptstadt namens montevideo erfreuen, die sich locker mit europaeischen metropolen messen kann, wenn man etwa kulturangebote, architektur, gastronomie, infrastruktur, vielfalt, badestraende und frischen fisch als werte urbanen lebensgefuehls betrachtet. und das alles zu preisen, die den ehemaligen ostblock in den schatten stellen (wo der ja auch herkommt). und was uns brasilianern zu denken geben sollte: der montevideano in seiner ueberwiegenden mehrheit ueberfaellt nicht, raubt nicht, vergewaltigt nicht und schiesst einen nicht ueber den haufen, was man nicht so ohne weiteres von jedem carioca behaupten kann. wir sollten alle mal ueber unsere vorurteile nachdenken.

  • Luft raus

    Was ich immer schon für eine gute Idee gehalten habe wird jetzt in Paris systematisch praktiziert: Anonyme Ökoguerrillas lassen Luxus-Geländewagen die Luft aus den Reifen. Damit die Alarmanlage nicht losgeht, stülpen die „Dégonflés“ („Luft-Raus-Kommandos“) einen Fahrradadapter über die Ventile, sodass die Luft langsam entweicht. Bis zu zwei Dutzend Fahrzeuge „erledigt“ ein Kommando pro Nacht. Gerichtsklagen haben kaum eine Chance – im schlimmsten Fall kann der Besitzer die Abschleppkosten zurückverlangen.

    Vielleicht finden sich ja bald Nachahmer in anderen Städten – immerhin emittieren die sinnlosen SUV-Autos im Schnitt 230 Gramm des Klimagiftes Kohlendioxid pro Kilometer – ein normaler PKW kommt auf rund 154 Gramm.

    In 10 Tagen erscheint das Schwarzbuch Öl. Mehr dazu in Kürze auf diesem Bildschirm.

  • Deutschland wählt – ich nicht

    Deutschland ist der beste Beweis für das Nichtfunktionieren der repräsentativen Demokratie. Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten, lautet ein alter anarchistischer Spruch. Was haben Rot-Grün geändert? Sie haben den Anteil erneuerbarer Energien bemerkenswert gesteigert und planen den Atomausstieg. Das ist löblich, war’s dann aber auch schon.

    Rot-Grün hat vor allem Politik für Konzerne gemacht, diese steuerlich entlastet und hochsubventioniert – und damit aber keinen einzigen Arbeitsplatz gerettet. Im Gegenteil, je höher die Konzerngewinne steigen, desto mehr wird wegrationalisiert und ausgelagert. Schröders Politik hat die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht. Und Fischers Außenpolitik ist ein Paradebeispiel für Neokolonialismus: Das drittreichste Land der Welt setzt in den internationalen Institutionen wie WTO und Weltbank, mit seiner Rohstoff-, Atomexport- und Schuldenpolitik regelmäßig die Interessen deutscher Konzerne gegen das Ziel der weltweiten Armutsbekämpfung durch. Ganz zu schweigen von der Menschen verachtenden Migrationspolitik von Schily und Co.

    Als einziges Argument für Rot-Grün bleibt also, dass Schwarz-Gelb der noch größere Horror wäre. Und dessen kann man sich wenigstens sicher sein.

    Dann wäre da noch die sogenannte Linke. Mein Vertrauen in die beiden narzistischen Gecken Gysi und Lafontaine ist enden wollend. Aber in der Politik geht es ja nicht um Vertrauen, sondern um nüchterne Pragmatik, oder? Und in der gegenwärtigen Situation hat die sogenannte Linke das Potenzial, korrigierend in machtpolitische Entscheidungen einzuwirken, ohne selbst allzuviel Macht zu kumulieren. Eine gestärkte Linke als Zünglein an der Waage wäre also ein Korrektiv, brächte eine gewisse Transparenz und öffentliche Aufmerksamkeit für die breite Unzufriedenheit über die Korruption der kapitalistischen Eliten. Laut Wahl-o-mat würde ich die sogenannte Linke wählen – wenn ich nicht nicht wählen würde.

  • Teure Hausarbeit

    Eine Studie der Universidade Federal Fluminense hat erstmals den volkswirtschaftlichen Wert unbezahlter Hausarbeit in Brasilien berechnet – mit dem Ergebnis, dass dieser rund 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bzw. jährlich 225 Milliarden Reais (80 Mrd. Euro) beträgt. Das ist mehr als die gesamte Landwirtschaft.

    Studienleiterin Hildete Pereira de Melo berechnete, dass 68 Prozent der Hausarbeit (inklusive Kindererziehung) von Frauen erledigt wird, was bedeutet, dass die Ungleichheit der Aufteilung häuslicher Pflichten in den letzten Jahren leicht gesunken ist. Während Frauen im Schnitt 27 Stunden in der Woche mit Waschen, Kochen und Kinderhüten verbringen, sind es bei Männern nur 11 Stunden. Nicht eingerechnet sind professionelle Dienstleistungen (zahlreiche brasilianische Haushalte beschäftigen Dienstmädchen oder zumindest Putzfrauen).

  • Politik

    „Wer sich nicht mit Politik befasst, hat die politische Parteinahme, die er sich sparen möchte, bereits vollzogen: er dient der herrschenden Partei.“ Max Weber