Autor: Klaus Werner-Lobo

  • Luft raus

    Was ich immer schon für eine gute Idee gehalten habe wird jetzt in Paris systematisch praktiziert: Anonyme Ökoguerrillas lassen Luxus-Geländewagen die Luft aus den Reifen. Damit die Alarmanlage nicht losgeht, stülpen die „Dégonflés“ („Luft-Raus-Kommandos“) einen Fahrradadapter über die Ventile, sodass die Luft langsam entweicht. Bis zu zwei Dutzend Fahrzeuge „erledigt“ ein Kommando pro Nacht. Gerichtsklagen haben kaum eine Chance – im schlimmsten Fall kann der Besitzer die Abschleppkosten zurückverlangen.

    Vielleicht finden sich ja bald Nachahmer in anderen Städten – immerhin emittieren die sinnlosen SUV-Autos im Schnitt 230 Gramm des Klimagiftes Kohlendioxid pro Kilometer – ein normaler PKW kommt auf rund 154 Gramm.

    In 10 Tagen erscheint das Schwarzbuch Öl. Mehr dazu in Kürze auf diesem Bildschirm.

  • Deutschland wählt – ich nicht

    Deutschland ist der beste Beweis für das Nichtfunktionieren der repräsentativen Demokratie. Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten, lautet ein alter anarchistischer Spruch. Was haben Rot-Grün geändert? Sie haben den Anteil erneuerbarer Energien bemerkenswert gesteigert und planen den Atomausstieg. Das ist löblich, war’s dann aber auch schon.

    Rot-Grün hat vor allem Politik für Konzerne gemacht, diese steuerlich entlastet und hochsubventioniert – und damit aber keinen einzigen Arbeitsplatz gerettet. Im Gegenteil, je höher die Konzerngewinne steigen, desto mehr wird wegrationalisiert und ausgelagert. Schröders Politik hat die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht. Und Fischers Außenpolitik ist ein Paradebeispiel für Neokolonialismus: Das drittreichste Land der Welt setzt in den internationalen Institutionen wie WTO und Weltbank, mit seiner Rohstoff-, Atomexport- und Schuldenpolitik regelmäßig die Interessen deutscher Konzerne gegen das Ziel der weltweiten Armutsbekämpfung durch. Ganz zu schweigen von der Menschen verachtenden Migrationspolitik von Schily und Co.

    Als einziges Argument für Rot-Grün bleibt also, dass Schwarz-Gelb der noch größere Horror wäre. Und dessen kann man sich wenigstens sicher sein.

    Dann wäre da noch die sogenannte Linke. Mein Vertrauen in die beiden narzistischen Gecken Gysi und Lafontaine ist enden wollend. Aber in der Politik geht es ja nicht um Vertrauen, sondern um nüchterne Pragmatik, oder? Und in der gegenwärtigen Situation hat die sogenannte Linke das Potenzial, korrigierend in machtpolitische Entscheidungen einzuwirken, ohne selbst allzuviel Macht zu kumulieren. Eine gestärkte Linke als Zünglein an der Waage wäre also ein Korrektiv, brächte eine gewisse Transparenz und öffentliche Aufmerksamkeit für die breite Unzufriedenheit über die Korruption der kapitalistischen Eliten. Laut Wahl-o-mat würde ich die sogenannte Linke wählen – wenn ich nicht nicht wählen würde.

  • Teure Hausarbeit

    Eine Studie der Universidade Federal Fluminense hat erstmals den volkswirtschaftlichen Wert unbezahlter Hausarbeit in Brasilien berechnet – mit dem Ergebnis, dass dieser rund 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bzw. jährlich 225 Milliarden Reais (80 Mrd. Euro) beträgt. Das ist mehr als die gesamte Landwirtschaft.

    Studienleiterin Hildete Pereira de Melo berechnete, dass 68 Prozent der Hausarbeit (inklusive Kindererziehung) von Frauen erledigt wird, was bedeutet, dass die Ungleichheit der Aufteilung häuslicher Pflichten in den letzten Jahren leicht gesunken ist. Während Frauen im Schnitt 27 Stunden in der Woche mit Waschen, Kochen und Kinderhüten verbringen, sind es bei Männern nur 11 Stunden. Nicht eingerechnet sind professionelle Dienstleistungen (zahlreiche brasilianische Haushalte beschäftigen Dienstmädchen oder zumindest Putzfrauen).

  • Politik

    „Wer sich nicht mit Politik befasst, hat die politische Parteinahme, die er sich sparen möchte, bereits vollzogen: er dient der herrschenden Partei.“ Max Weber

  • Andererseits ist nicht mal der von mir

    „Wenn einer einen Satz mit ‚einerseits‘ anfängt, vergiss ihn.“ Klaus Sochatzky

    (Sochatzky, 1921-1991, war Soziologieprofessor in Frankfurt, ungebildetes Gesocks! Und Schiller…ach vergesst es, denkt lieber über den Satz nach.)

  • Könnte von mir sein, ist aber von Schiller

    „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Friedrich Schiller, 1795

  • Axé

    heute nacht hat mich márcio auf eine macumba mitgenommen – ein ritual der afrobrasilianischen religion candomblé. der candomblé wurde von afrikanischen sklavInnen überliefert und ist zum unterschied von christlich/jüdisch/islamischen traditionen nichtautoritär und diesseitsgewandt – so ist zum beispiel das repressive konzept der sünde unbekannt. ziel ist im wesentlichen, von den orixás, den griechischen göttern vergleichbare mächte, durch rituale die universalenergie axé zu erlangen. axé ist der luftstrom des lebens, ähnlich dem fernöstlichen „chi“, mit dem etwa die traditionelle chinesische medizin oder lehren wie reiki, chi gong etc. arbeiten.
    bis acht uhr früh wurden mit tänzen, trommeln, gesängen und afrikanischem essen vor allem der orixá der krankheiten und heilkunst obaluayiê gefeiert, dessen gesicht und körper unter einer maske und kutte aus stroh verborgen ist. frauen in weiß tanzten sich in trance und empfingen den „axé“ von den göttern, um ihn an die umstehenden weiterzugeben. dennoch wäre ich vor erschöpfung fast umgekippt, währenddessen steinalte frauen stundenlang exzessiv abtanzten.

  • wohin wir gehen

    wandern ist sehr wichtig. mein großvater begann schon früh zu wandern. heute ist er über hundert und niemand weiß wo er ist.

  • Wie Tanzen funktioniert

    Der Tausendfüßler ging fröhlich seines Weges; als er gefragt wurde, wie er es schaffte, die Bewegungen seiner tausend Füße zu koordinieren, dachte er darüber nach und war daraufhin nicht mehr imstande zu laufen.

  • Unmoralisches Angebot

    In Rio tagt gerade eine internationale Aids-Konferenz. Brasilien verfolgt seit Jahren eine aktive Anti-Aids-Politik; mit der kostenlosen Verteilung von Millionen von Kondomen und der ebenfalls kostenlosen Abgabe von Aidsmedikamenten ist es gelungen, die Rate der Neuinfektionen und Erkrankungen dramatisch zu senken. Mit der Drohung, die Patente zu brechen, hat die Regierung den Pharmakonzernen Zugeständnisse zur billigen Abgabe antiretroviraler Medikamente abgerungen.

    Die US-Regierung hat Brasilien 40 Millionen Dollar für die Aids-Bekämpfung angeboten – unter der Bedingung, die Prostitution unter Strafe zu stellen. Sexuelle Dienstleistungen unter Erwachsenen sind in Brasilien legal und gesellschaftlich relativ weitgehend akzeptiert. Für die SexarbeiterInnen bedeutet das in erster Linie Schutz vor Diskriminierung und Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Ein Verbot würde diesen Schutz aufheben – und damit die Gewinne der US-Pharmakonzerne in die Höhe schnellen lassen. Brasilien hat das Angebot abgelehnt.