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Senol Akkilic: Wir transformieren euch!

Seit meiner Angelobung habe ich hier – bis auf die Kulturausschussprotokolle – kaum gebloggt. Der Grund ist banal: Ich habe bisher kaum Zeit dazu gefunden, weil ich seitdem von früh bis spätabends von einem Termin zum nächsten hetze und schon froh bin, wenn ich mal meine Mails lesen kann (weitere Gründe hat Christoph Chorherr hier beschrieben).

Heute ist es mir aber ein Anliegen, diese meiner Meinung nach wunderbare Rede meines Kollegen Senol Akkilic im Gemeinderat hier zu veröffentlichen (mit seinem Einverständnis, da er selbst noch nicht bloggt; die gesamten Wortprotokolle gibt’s übrigens hier). Gemeinderatsreden zeichnen sich ja häufig nicht durch überbordende rhetorische Brillanz aus, aber bei dieser hier war sogar die rechte Opposition eine zeitlang schmähstad:

senolGR Senol Akkilic (Grüner Klub im Rathaus): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Frau Stadträtin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin ein bisschen überrascht, wie viel Negativstimmung es in diesem Gemeinderat gibt. Wenn jemand von außen frisch nach Wien kommt und Ihnen zuhört, glaubt er, dass Wien nur Probleme hat: Wien hat Probleme, bei denen man sich nicht mehr auskennt, Wien hat Probleme, über die man nicht mehr die Kontrolle hat. Und dieses Problem, das Sie haben – von Seiten der ÖVP zum einen und von den Freiheitlichen zum anderen – ist die Zuwanderung und Integration, als hätten wir keine anderen Sorgen in dieser Stadt, als hätten wir keine anderen Sorgen in diesem Land.

Ich lebe nun seit 32 Jahren in diesem Land und habe zwei Kinder. Ich bin 1979 gekommen, mein Vater ist 1971 gekommen. Das heißt, ich bin ein Kind des so genannten Gastarbeiters, das Sie heute als einen Problemfall sehen. Damals, als meine Eltern nach Wien gekommen sind, hat man sie gebraucht. Damals waren sie gefragte Arbeitskräfte. Sie haben bis jetzt, indem sie auch das Leben in der Stadt mitgestalten, zum Aufbau dieses Landes beigetragen. Das heißt, zu einer Trümmergeneration ist eine Aufbaugeneration gekommen, die nach Anerkennung sucht. Und diese fordere ich von Ihnen ein, weil wir dieses Land mit aufgebaut haben. Ich lasse nicht ständig über uns schlechtreden, meine Damen und Herren! (Beifall bei den GRÜNEN.)

Spätestens seit letzter Woche, aber auch bei den Diskussionen der Europäischen Union wissen wir, dass Zuwanderung etwas Notwendiges für die Wirtschaft und für die Gemeinschaft der europäischen Gesellschaften ist, der österreichischen Gesellschaft ist, der Wiener Gesellschaft ist. Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist ein Bekenntnis dazu, wenn es auch nicht offen zugegeben wird, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind. Diese Einwanderungsgesellschaft braucht Integrationsmaßnahmen.

Wir, die rot-grüne Koalition, erkennen diese Verantwortung und entwickeln Instrumentarien, die dieses Zusammenleben in der Stadt organisiert. Dazu gehören sehr wichtige Maßnahmen im Bildungsbereich, die im Koalitionsabkommen enthalten sind: angefangen vom Kindergarten bis zu den Universitäten. Bildungspolitische Maßnahmen sind nämlich auch integrationspolitische Maßnahmen.

„Start Wien“ ist ein Instrument, mit dem wir das Einleben von Menschen in der Stadt erleichtern wollen. Ich habe weder von der ÖVP noch von der FPÖ ein Instrument zur Gestaltung des Zusammenlebens beziehungsweise der Integration gehört. Das Einzige, was ich höre, ist: Es funktioniert nicht! – Und das stimmt nicht, denn ich bin ein lebender Beweis dafür, dass Integration gelingen kann. Solche wie mich gibt es genug, Herr Jung! Das einzige Problem Ihrer Politik ist, dass Sie die Realität verweigern.

Wir sind hier genug realistisch und sagen, es gibt mittlerweile 44 Prozent der Wiener Bevölkerung, die einen Migrationshintergrund haben. Was bedeutet das? – Das bedeutet, dass wir täglich das Leben in Wien gestalten: ÄrztInnen, VerkäuferInnen, Reinigungskräfte, Wissenschafter, Unternehmer und so weiter und so fort, die in Wien leben und das Leben mit den anderen, die in der Stadt leben, gestalten. Das ist die Realität. Akzeptieren Sie einfach, dass in unserer Gesellschaft auch das Zusammenleben gut funktioniert!

Darüber hinaus, meine Damen und Herren, haben wir uns so weit entwickelt, dass die Menschen sich mittlerweile vermischen. Ich weiß, dass ein Grundgedanke die Vermischung von unterschiedlichen Völkern ablehnt, aber wir sind bereit, Ehen, Zusammenleben, Partnerschaften mit Menschen aus anderen Kulturkreisen und aus anderen Nationalitäten einzugehen, weil wir keine Scheuklappen haben, weil wir keine Angst davor haben, dass wir mit anderen Nationalitäten zusammenkommen. Das ist Wien, meine Damen und Herren, und das ermöglicht Wien. Das gehört auch einmal gelobt und gesagt. (Beifall bei den GRÜNEN.)

Haben wir keine Probleme? – Natürlich haben wir Probleme. Eine Gesellschaft, die auf Einwanderung angewiesen ist, die Menschen aus unterschiedlichsten Weltteilen – so sage ich jetzt einmal -, Kontinenten anzieht, nicht nur, weil die Menschen zu uns wandern wollen, sondern auch, weil wir sie brauchen, wird zu einer Schnittstelle, wo die Menschen unterschiedliche Gewohnheiten haben, unterschiedliche Sozialisationen haben, unterschiedliche politische Einstellungen haben, und aufeinander prallen. Das ist eine ganz normale Entwicklung.

Die Frage wird sein: Erkennen wir die darin entstandenen Probleme, und wie gehen wir diese Probleme an? Auf Basis welcher Werte und welcher Grundeinstellungen gehen wir diese Probleme an?

Säkularismus, Bekenntnis zur Demokratie, Trennung von Religion und Staat, Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und so weiter bilden die Grundsäulen unserer Gesellschaft, unserer Wiener Gesellschaft. Dafür lege ich ein Bekenntnis ab: Ja natürlich, ich stehe zu diesen Werten.

Ich weiß aber auch, dass es Menschen mit Einstellungen gibt, die nicht unbedingt diese Werte teilen. Nur, ich ethnisiere diese Einstellungen nicht. Ich pauschalisiere nicht, dass jemand, der aus der Türkei kommt, automatisch ein undemokratischer Mensch ist. Ich pauschalisiere auch nicht, dass jemand, wenn er der islamischen Glaubensgemeinschaft angehört, die Frauenrechte nicht beachtet. Die Vielfältigkeit findet nicht nur in der Stadt statt, sondern die Vielfältigkeit findet auch in der zugewanderten Bevölkerung statt.

Ich kann Ihnen, Herr Jung, versichern, dass es ähnlich denkende, genauso denkende, nationalistische Menschen bei den Türken gibt, bei den Serben gibt, bei anderen Menschen, die in dieses Land eingezogen sind, gibt. Eigentlich könnten Sie sich mit denen auf ein Packl hauen und Politik betreiben. (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN.)

Wir lehnen Einstellungen, die das Näherrücken von Menschen blockieren – egal, woher sie kommen -, entschieden ab, weil wir wissen, dass die Blockaden zwischen den Menschen letztendlich dazu führen werden, dass wir unsere sozialen Probleme vernachlässigen und den Schuldigen für die sozialen Probleme nur noch in seiner Herkunft oder in ihrer Herkunft oder in ihrer Nationalität oder in ihrer religiösen Zugehörigkeit suchen.

Ich habe eine Grundeinstellung zur Religion, und die GRÜNEN haben diese Grundeinstellung zur Religion auch. Wir haben eine Äquidistanz zu allen Religionen. Wir haben Religion nicht in unserer Politik instrumentalisiert, indem wir Säkularismus umgangen und „Abendland in Christenhand“ plakatiert haben. Wo bleibt die säkulare FPÖ? Die Vermischung von Religion mit einem Kreuz in der Hand des Herrn Strache hat bei Ihnen stattgefunden und nicht bei uns.

Wir sagen, Religion ist eine Privatsache. Diese Privatsache gehört in ihren entsprechenden Räumlichkeiten auch ausgeübt. Daher lehnen wir auch alles, was traditionalisiert wird, ab: Zwangsehen, Beschneidungen oder sonstige Sachen, die minimal in der Gesellschaft vorhanden sind. Das lehnen wir ab.

Aber wir lehnen etwas grundsätzlich entschieden ab: Das ist Rassismus. Das sind Rassismus und Nationalismus, die die Menschen aufeinander hetzen und keine Brücken zwischen den Menschen bauen. Also, unsere Linie gilt für alle Menschen, die in der Stadt leben, und nicht für eine Nationalität oder für eine religiöse Gemeinschaft. (Beifall bei den GRÜNEN.)

Sie haben Demokratiereform angesprochen, Herr Jung! Die Demokratiereform wird kommen. Dazu bekennen wir uns. Das steht auch im Koalitionsabkommen. Nur, unter Demokratiereform verstehen wir auch, dass es endlich einmal in der Stadt Menschen gibt, die bis dato keine Stimme gehabt haben. Wir leben im 21. Jahrhundert, und Sie wollen nach wie vor, dass es Menschen in der Stadt gibt, die ihren politischen Willen nicht zum Ausdruck bringen können.

Ist das die moderne Gesellschaft? Ist das die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die Sie sich vorstellen? – Wir nicht, auch meine Damen und Herren von der ÖVP! Wir wollen in der Demokratiereform verankert sehen, dass die EU-BürgerInnen, aber auch Drittstaatsangehörige ein Teil dieser Demokratie werden, indem sie mitstimmen können, indem sie mitmachen können, indem sie ihre Meinungen kundtun können. Dafür stehen wir. Diese Demokratiereform werden wir auch so mit unserer Koalitionspartnerin durchsetzen und verankern.

Eines möchte ich noch sagen: Die Zuwanderung führt natürlich auch dazu, dass wir uns transformieren. Ich transformiere mich, Sie transformieren sich genauso. Wäre ich nicht hier, hätten Sie über mich nicht reden können. Sprechen Sie über mich, ändern Sie Ihre Sprache. Sprechen Sie über mich, ändert sich Ihr Denken. Also, Sie transformieren sich.

Diese Erkenntnis müssen Sie einmal akzeptieren. Diese Transformation haben Sie, nicht ich – wo ist denn der Herr Herzog?, ihm hätte ich gerne etwas gesagt – im Wahlkampf, im Vorwahlkampf dermaßen eingeleitet, indem Ihr Vorsitzender Strache nach Belgrad gegangen ist, dort eine Fahne gehalten hat und eine Rede für die Serben gegen den Kosovo gehalten hat. Warum macht er das? Warum? – Weil er weiß, dass er damit Stimmen aus der serbischstämmigen Community in Österreich empfangen kann. Das ist die Transformation, die Sie nicht verstehen, die Sie nicht vollziehen wollen! (Beifall bei den GRÜNEN.)

Auch die KollegInnen von der ÖVP haben ja jemanden nach Belgrad auf Stimmenfang geschickt, oder? Belgrad und Umgebung war das. Der Herr Tschirf ist hingegangen, oder?

Ich denke nicht so, aber es heißt ja immer, wir wollen die Probleme in den anderen Ländern nicht nach Wien importieren. No na net! Was ist das, was Sie da in Belgrad betreiben? Was ist das, was Sie oder was der Herr Herzog durch seine Städtereise der kurdischen Städte in der Türkei betreibt? Was macht er dort? Was will er dort? Solidarität mit der kurdischen Bevölkerung?

Ich sage Ihnen nur eines: Die kurdischstämmige Wiener Bevölkerung ist gescheiter, als Sie glauben. Die kurdische Bevölkerung wird Ihnen nicht helfen, aus der internationalen Isolation herauszukommen. Sie haben es ja nicht einmal geschafft, dass ein kurdischstämmiger Kandidat oder eine kurdischstämmige Kandidatin auf Ihrer Liste steht. So schaut die Realität aus.

Die Realität ist aber noch härter, nämlich die, dass Sie sich transformieren. Eine Einwanderungsgesellschaft führt dazu, dass man sich ändert. Sie ändern sich, aber Sie verweigern die Realität. Erkennen Sie diese Realität!

Ich möchte noch abschließend Folgendes sagen, meine Damen und Herren: Ein religiöser Mensch würde sagen: Jene Menschen, Gott prüft sie! Gott prüft sie zum zweiten Mal! Ich sage: Geschichte prüft sie! Sie wissen ganz genau, wohin die Rhetorik und die Politik vor dem Zweiten Weltkrieg und während des Zweiten Weltkriegs – nämlich auf den anderen zu zeigen – geführt haben, was das verursacht hat.

Die Zuwanderung gibt Ihnen, ich gebe Ihnen, wir geben Ihnen die Chance – wo ist die Nurten?, die Sirvan ist ja nicht mehr da; das ist auch ein Punkt, warum ich mit der ÖVP noch länger gesprochen hätte -, wir geben Ihnen die Möglichkeit, nicht denselben Fehler zu wiederholen.

Die Möglichkeit ist: Gehen Sie auf Menschen zu und hetzen Sie nicht Menschen aufeinander! Daher denke ich: Ergreifen Sie diese Chance! Wir wollen diese Chance ergreifen, indem wir das Zusammenleben in der Stadt fördern, das Zusammenleben steigern und dazu Politiken entwickeln, die sich im Regierungsübereinkommen finden. – Danke schön. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)